Krankenhaushygiene up2date 2025; 20(02): 103-105
DOI: 10.1055/a-2546-5233
Editorial

Psychohygiene – revived?

Stefan Bushuven

Wieviel „Psychohygiene“ braucht „die Hygiene“? Diese Frage stellte sich mir mehrfach in den letzten Monaten. In der Medizin- und Krankenhaushygiene arbeiten wir in sehr komplexen Welten. Und dabei nehmen wir eine Reihe unterschiedlicher Rollen ein: Als professionell Handelnde, als Kommunikatoren, als Teammitarbeitende, Projektmanager, Fürsorgende und als Lehrende und wissenschaftlich tätige Fachpersonen [1]. Wir sind aber auch Ratgebende und Kontrollierende. Zuviel Kontrolle und wir sind keine Berater mehr, an die sich Personen vertrauensvoll wenden, zu wenig Kontrolleur und wir wirken als pflichtvergessen.

Hygienefachpersonal hat neben der Bewegung in dieser fordernden hierarchischen Sandwichpositionen ein sehr breites inhaltliches Spektrum zu versorgen und eine Reihe von Fertigkeiten zu beherrschen: Surveillance, Epidemiologie, Beratung, Begehung, Schulung, technische Anforderungen, Bauhygiene, Bürokratie, Qualitätsmanagement, Laborbefundung, Antibiotika-Auswahl, Begutachtung, Kommunikations-, Vermittlungs- und Führungstechniken und vieles mehr.

Aber was geschieht eigentlich, wenn wir uns in diesen Feldern bei der Anwendung irren oder durch den Alltag abgelenkt werden und Aspekte übersehen? Im Feld hochkomplexer Medizin und Infektionsprävention, im allgegenwärtigen und zukünftigen Ressourcenmangel und Stress geschehen dann auch Irrtümer und Fehler. Das ist menschlich und somit niemand frei davon.

Ein Wasserbefund wird falsch interpretiert, ein 4-MRGN-Befund übersehen, eine Datenbank fehlerhaft verwaltet, eine Statistik falsch erstellt, eine Kohortierung falsch empfohlen, ein Begehungsbericht an den verkehrten Verteiler versandt, eine Formulierung falsch verstanden, eine Schulung funktioniert nicht und eine Begutachtung sehen nachher andere ganz anders. Viele kennen dies: von Fehlern, die gar keine sind, über bedrohlich wirkende Beinahe-Ereignisse, kleinen „Mishaps“ bis hin zu schweren „Never Events“[2].

Die Frage ist aber: was macht das eigentlich mit „uns“? Und was machen wir damit? Brauchen wir “in der Hygiene“ manchmal etwas mehr eigene „Psychohygiene“?

Im Jahr 2000 prägte Albert Wu in diesem Kontext den Begriff des „Second Victim“, der das emotionale Erleben eines Arztes beschreibt, dem ein Fehler unterlief und der neben einem First Victim, ein zweites Opfer provozierte [3]. Mit den Jahren wurde der Begriff auf die anderen Berufsgruppen erweitert [4] und nicht nur für Fehler, sondern allgemein für das Erleben fordernder Situationen genutzt – wie das Erleben eines Suizids einer versorgten Person, eine kritische Krankheitsphase bei eigenen Angehörigen oder im Kollegium oder auch das Erleben von Bedrohung und Gewalt, die auch im Krankenhaus mittlerweile Alltag sind. Manche lehnen den Begriff ab [5], aber er bleibt greifbar.

In den letzten Jahren zeigten Befragungen teils sehr hohe Prävalenzen zwischen 40 und 90% der an den Umfragen teilnehmenden befragten medizinischen Fachkräfte: Arztpersonen in Weiterbildung, Pflegekräfte, Notärztinnen und Notärzte, Allgemeinmediziner, Kinderärztinnen und -ärzte und weitere Berufsgruppen. Auch wenn diese Studien einer gewissen Selektion unterliegen, sind die Befragungszahlen ausreichend hoch. Es ist beruhigend, dass viele Fachkräfte solche Situationen gestärkt überwinden, doch manche entwickeln dysfunktionale Strategien (z.B. alles dokumentieren, alles absichern) oder verlassen mit viel Know-How und wertvollen Kompetenzen und nach einer Ressourcen-intensiven Aus-, Fort- und Weiterbildung das medizinische System [6].

Wie eine Infektionserkrankung bedarf auch dies der Primär- und Sekundär-Prävention und des Handelns im Falle des Auftretens – sowohl für die betroffene Person als auch für die Teams.

Abseits dieses Phänomens oder im Rahmen der genannten Dysfunktionalität und dem Erleben von moralischem Stress gibt es noch ein weiteres spezielles Problem, welches eine Rolle in dem Kontext interdisziplinärer und interprofessioneller Teams spielen kann: Bei den Navy Seals gibt es den Begriff des „Virus of Negativity and Self-Pity“, das Virus des Selbstmittleids, des Jammerns und Klagens – einmal infiziert, ist ein Rekrut für Elite-Einheiten des Militärs nicht mehr einsetzbar [7]. Ein transempathisches „Kontagion“ [8], welches aber auch außerhalb des Militärs fast so ansteckend in Teams erscheinen kann, wie ein Norovirus in einer Kindertagestätte.

Diese fachlichen wie auch emotionalen Beanspruchungen stellen hohe Ansprüche an Führungspersonen und es bedarf auch hierzu der Kompetenzbildung und des -erhaltes auf allen Ebenen. Dass Fehler und Irrtümer passieren ist nicht verhandelbar, dass ein Team einmal moralisches Down hat auch nicht – der Umgang damit und die gewährten Ressourcen schon.

Ob in einem Team „Blame and Shame“ oder „Just Culture“ herrscht, kann darüber entscheiden, ob eine hochspezialisierte Fachperson bleibt oder geht. Und der Ersatz ist mühsam und ressourcenaufwending, da zuerst einmal jemand gefunden, ausgebildet und bis dahin ersetzt werden muss. Den Verlust wertvoller Kollegen können wir uns in Zukunft aber kaum leisten – weder menschlich noch medizinisch, ökonomisch, ethisch oder politisch.

Was tun?

Als Hygieneexperten, Infektiologen, ABS-Experten und Präventionsexperten vermitteln wir anderen den Präventionsgedanken. Stetig. Jeden Tag. Immer wieder.

Für den Aspekt der eigenen psychologischen und emotionalen Sicherheit sollten wir auch dies für uns und unsere Hygiene- und ABS-Teams beherzigen und geeignete Auffangnetze für kritische Belastungssituationen spannen.

Nehmen Sie sich diese Zeit für ihre Teams!

Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg!

Ihr

Dr. med. Stefan Bushuven



Publication History

Article published online:
04 June 2025

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  • Literatur

  • 1 Breckwoldt J, Brodmann Maeder M. Kompetenzbasierte Bildung – eine Einführung. Schweizerische Ärztezeitung (SÄZ) 2022; 103: 170-173
  • 2 Leupold F. Evaluation der Handlungsempfehlungen des Aktionsbündnis Patientensicherheit. Schriftenreihe des APS 2019. Online. https://www.aps-ev.de/wp-content/uploads/2019/04/Evaluation_APS_HE_Leupold.pdf
  • 3 Wu AW. Medical error: the second victim. The doctor who makes the mistake needs help too. BMJ 2000; 320: 726-727
  • 4 Vanhaecht K. et al. An Evidence and Consensus-Based Definition of Second Victim: A Strategic Topic in Healthcare Quality, Patient Safety, Person-Centeredness and Human Resource Management. Int J Environ Res Public Health 2022; 19
  • 5 Clarkson MD. et al. Abandon the term „second victim“. BMJ 2019; 364: l1233
  • 6 Scott SD. et al. The natural history of recovery for the healthcare provider „second victim“ after adverse patient events. Qual Saf Health Care 2009; 18: 325-330
  • 7 Colebrooke L. Special Operations Mental Toughness: The Invincible Mindset of Delta Force Operators, Navy Seals, Army Rangers & Other Elite Warriors! Independently Published 2015.
  • 8 Scheler M. Wesen und Formen der Sympathie. Der „Phänomenologie d. Sympathiegefühle“. Bonn: F. Cohen; 1923. 2.