Intensivmedizin up2date 2025; 21(01): 21-34
DOI: 10.1055/a-2534-1773
Allgemeine Intensivmedizin

Komplikationen und Behandlungsfehler

Kommunikation mit Angehörigen und Versicherungen; Bedeutung hinsichtlich der Haftbarkeit
Alexander P. F. Ehlers
,
Arne Claußen
 

In diesem Beitrag wird primär aus einer juristischen Perspektive beleuchtet, was eine Ärztin oder ein Arzt und auch andere Leistungserbringer im Zusammenhang mit einer Komplikation beachten müssen und wie sie die dadurch aufgetretenen Herausforderungen bewältigen können. Der Schwerpunkt liegt dezidiert auf jenen Sachverhalten, in denen zu befürchten ist, dass die Komplikation als Wirkung gezwungenermaßen auf einen Behandlungsfehler als Ursache zurückzuführen ist.


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Abkürzungen

AHB: Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung
Az: Aktenzeichen
BGB: Bürgerliches Gesetzbuch
MBO-Ä: Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte
MFA: Medizinische(r) Fachangestellte(r)
MVZ: Medizinisches Versorgungszentrum
OLG: Oberlandesgericht
SGB V: Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
VVG: Versicherungsvertragsgesetz


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Einleitung

Komplikationen sind unter anderem die unerwünschten Folgen eines ärztlichen Eingriffs, die auf einen Behandlungsfehler kausal zurückgeführt werden können.

Die Kommunikation von Komplikationen ist für Ärzte eine komplexe Herausforderung, da sie sich einerseits möglicherweise ihren Patienten gegenüber verpflichtet fühlen und diesen mitteilen möchten, wie die erfolgte Behandlung verlaufen ist, sie andererseits aber beachten müssen, dass ein der Komplikation zugrunde liegendes Fehlverhalten auch Konsequenzen für den Arzt haben kann.

Fallbeispiel

Es sind verschiedene Fallkonstellationen denkbar, in denen die Kommunikation von Komplikationen erforderlich wird. Als Beispiele wären zu nennen:

Fall 1

Einem in einer Einzelpraxis tätigen Arzt unterläuft ein harmloser Behandlungsfehler ohne drohende Folgeschäden, der Patient bemerkt diesen gar nicht.

Fall 2

Eine MFA informiert den Patienten darüber, dass sie einen Behandlungsfehler vermutet. Der Patient fragt daraufhin den Arzt.

Fall 3

Einem Assistenzarzt unterläuft bei einem stationär behandelten Patienten ein Behandlungsfehler. Der Patient bemerkt dies und verlangt von dem Krankenhaus (unter Umständen von der Versicherung des Krankenhauses) Information.

Prägen Sie sich diese Fälle bitte ein, da sie im Folgenden erneut aufgegriffen werden.


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Die Verpflichtung des Arztes bei Komplikationen

Zunächst sollen die rechtlichen Pflichten des Arztes nach einer Komplikation beleuchtet werden, von Bedeutung ist auch, welche Konsequenzen sich daraus für den Arzt ergeben.


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Maßnahmen

Eine Komplikation führt häufig zur Erforderlichkeit weiterer Behandlungsmaßnahmen.

Cave

Wichtig ist dabei, dass Ärzte nicht in Versuchung geraten, Komplikationen zu „vertuschen“ und deshalb die erforderlichen weiterführenden Maßnahmen unterlassen.

Wenn nach einer Hüftoperation eine Sepsis als nicht auf einen ärztlichen Behandlungsfehler zurückzuführende Komplikation eintritt und es unterlassen wird, eine möglichst auf den Erreger abgestimmte Antibiotikatherapie einzuleiten, dann werden, unabhängig davon, dass ursprünglich keine behandlungsfehlerhafte Behandlung vorlag, wegen fehlerhafter Fortführung der Behandlung unter Berücksichtigung der eingetretenen Komplikation juristische Folgen unumgänglich seien. Die Erbringung weiterer Behandlungsmaßnahmen beinhaltet in diesem Zusammenhang sodann insbesondere eine weitere ordnungsgemäße Aufklärung und Einholung der Einwilligung über die nunmehr erforderlichen Behandlungsmaßnahmen; die bereits vorliegende Einwilligung umfasst nämlich keine weiteren Behandlungsmaßnahmen.


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Kommunikation

Die Verpflichtung, eine Komplikation zu kommunizieren, ist differenziert zu betrachten. Insbesondere die zur Kommunikation verpflichtete Person unterscheidet sich je nach Behandlungssetting.

Die Pflicht zur Kommunikation von Komplikationen unterscheidet sich des Weiteren darin, ob der Komplikation ein Behandlungsfehler zugrunde liegt oder nicht. Sollte die Möglichkeit bestehen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt, sind die Pflichten des Behandlers hinsichtlich der Kommunikation gesetzlich eindeutig bestimmt. Hier ist kein Raum für strategische Erwägungen des Behandlers. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) sieht vor:

Rechtliches

Sind für den Behandelnden Umstände erkennbar, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, hat er den Patienten über diese auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren zu informieren“.

(§ 630c Abs. 2 S. 2 BGB)

Merke

§ 630c Abs. 2 S. 2 BGB gilt nicht nur für den Arzt. Die Norm verwendet den Begriff „Behandler“, dieser ist aber nicht zwangsläufig nur ein Arzt.

Das bedeutet, dass es in der Regel nicht im Ermessen des Behandelnden steht, über Behandlungsfehler zu informieren. Von dieser Informationspflicht nach § 630c Abs. 2 S. 2 BGB inhaltlich zu unterscheiden ist die zusätzliche Informationspflicht nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB des Behandelnden als eine Behandlungspflicht. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB besagt:

Rechtliches

Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.

(§ 630c Abs. 2 S. 1 BGB)

Das bedeutet, dass insbesondere auch hinsichtlich etwaiger Komplikationen, die nicht auf einen Behandlungsfehler beruhen, informiert werden muss, wenn selbige wesentliche Umstände für die Behandlung darstellen.

Im Folgenden werden die einzelnen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB weiter aufgeschlüsselt.

Informationsverpflichteter

Die Frage, wer zur Information verpflichtet ist, ist komplex. Verpflichtet ist nach dem Wortlaut der Norm der „Behandelnde“. Dies ist nicht zwangsläufig die Person, die am Patienten „Hand anlegt“, also der behandelnde Arzt, sondern der Vertragspartner des Behandlungsvertrags.

Definition

Behandlungsvertrag

Gegenstand des Behandlungsvertrag ist die Erbringung einer medizinischen Behandlung im Gegenzug zur Erbringung der vereinbarten Vergütung durch den Patienten oder einen Dritten (§ 630a BGB).

Wer dieser Vertragspartner ist, hängt primär von der Rechtsform der Praxis bzw. des Krankenhauses ab.

Im ambulanten Bereich ist der Arzt selbst Behandler in Einzelpraxen oder in einer Praxisgemeinschaft. In einer Berufsausübungsgemeinschaft (sog. Gemeinschaftspraxis) hingegen wird die Gesellschaft zum Vertragspartner des Patienten. Gleiches gilt für Partnerschaftsgesellschaften und MVZ.

In Krankenhäusern ist bei der stationären Behandlung in der Regel der Krankenhausträger der Vertragspartner und damit Behandler. Dies ergibt sich daraus, dass in der Regel ein sogenannter „totaler Krankenhausaufnahmevertrag“ geschlossen wird, wobei der Vertrag hier ausschließlich mit dem Krankenhausträger zustande kommt. Abzugrenzen ist dieser vom „totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit Zusatzvertrag“ und dem „gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag“. Im Ersteren verpflichtet sich der Krankenhausträger zur umfassenden Leistungserbringung, wie auch zusätzlich der selbstliquidierende Arzt in Bezug auf die ärztliche Behandlung. Das bedeutet: Hier besteht sogar eine doppelt vertragliche Haftungsmöglichkeit. Im Falle des gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrags muss haftungsrechtlich zwischen dem Schuldner für die Unterbringung, Verpflegung und Versorgung – dem Krankenhausträger – und der ärztlichen Leistung – dem Arzt – unterschieden werden.

Im Bereich der ambulanten Krankenhausbehandlung ist Behandler regelmäßig derjenige Arzt, der als selbst liquidationsberechtigter leitender Krankenhausarzt die Ambulanz leitet.

Die Ärzte, denen ein Behandlungsfehler unterläuft, sind insbesondere bei der stationären Behandlung also teilweise gar keine „Behandler“ im Sinne des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB. Vor diesem Hintergrund ist es Ärzten zu empfehlen, sich Gedanken darüber zu machen, in welchem vertraglichen Verhältnis zum Patienten sie eigentlich stehen.

Eine Informationspflicht kann sich aber auch ohne vertragliches Verhältnis aus einer Tätigkeit als sogenannter Erfüllungsgehilfe ergeben.

Definition

Erfüllungsgehilfe

Erfüllungsgehilfe ist, wer für den Schuldner (hier der Behandler) bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit (die Behandlung) als Hilfsperson tätig wird.

Maßgeblich für die Informationspflicht ist, dass es sich um Leistungen im Rahmen des Behandlungsvertrags handelt. Daraus, dass die tatsächlich behandelnden Ärzte als Erfüllungsgehilfen anzusehen sind, resultiert aber auch, dass der im juristischen Sinne Behandelnde, z. B. ein Krankenhausträger, sich deren Fehlverhalten zurechnen lassen muss. Es kommt also nicht zu einer „Lücke“, in der der Krankenhausträger mangels Fehlverhaltens und der Arzt mangels Behandlungsvertrags beide nicht zur Aussage verpflichtet sind.

Fallbeispiel

In den Fällen 1 und 2 ist der Arzt der Behandler, in Fall 3 ist es der Träger des Krankenhauses.


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Behandlungsfehler

Hauptbestandteil der Norm in § 630c Abs. 2 S. 2 BGB ist die Erkennbarkeit von Umständen, welche die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen.

Definition

Behandlungsfehler

Ein Behandlungsfehler ist ein nach dem Stand der Medizin unsachgemäßes Verhalten des Arztes.

Davon zu unterscheiden ist der von § 630c Abs. 2 BGB nicht erfasste Aufklärungsfehler.

Definition

Aufklärungsfehler

Ein Aufklärungsfehler ist die Durchführung der ärztlichen Behandlung ohne umfassende Aufklärung und Zustimmung des Patienten.

Bei der Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, ist in der Regel der sogenannte Facharztstandard gem. § 630a Abs. 2 BGB maßgeblich.

Definition

Facharztstandard

Der Facharztstandard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Der Standard repräsentiert dabei den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrungen, die zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.

„Klassische“ Behandlungsfehler wären die fehlerhafte Verabreichung eines Medikaments oder die Operation eines falschen Körperteils. Ein Behandlungsfehler liegt beispielsweise aber auch vor bei der Kündigung eines Behandlungsvertrags zur Unzeit. Beispiele im Bereich der Intensivmedizin wären:

  • verspätete oder unterlassene Intubation bei schwerer respiratorischer Insuffizienz trotz eindeutiger Zeichen einer drohenden Atemdepression (BGH NJW 2013, 1674)

  • fehlende Anpassung der Katecholamin-Therapie bei septischem Schock, wodurch eine inadäquate Perfusion zu Organschäden führte (OLG Hamm VersR 2018, 654)

  • nicht rechtzeitige Eskalation der Beatmungstherapie bei ARDS, trotz zunehmender Oxygenierungsstörung (OLG München NJW 2020, 1123)

  • fehlende Thromboseprophylaxe bei immobilisierten Intensivpatienten, was zu einer vermeidbaren Lungenembolie führte (BGH NJW 2016, 2781)

  • unkontrollierte Verabreichung hochdosierter Sedativa ohne adäquate Überwachung mit der Folge einer respiratorischen Insuffizienz und prolongierter Weaning-Problematik (OLG Schleswig VersR 2019, 765)


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Erkennbarkeit von behandlungsfehlerbegründenden Umständen

Maßgeblich für den Informationsanspruch ist aber nicht, ob wirklich ein Behandlungsfehler vorliegt – anders als für einen möglichen Schadensersatzanspruch. Stattdessen kommt es darauf an, dass konkrete Anhaltspunkte für eine defizitäre Behandlung bestehen. Dies ist rein objektiv zu bestimmen, die Einschätzung des Behandlers hinsichtlich des Vorliegens eines Behandlungsfehlers spielt keine Rolle. Insofern darf der Behandler den Sachverhalt nicht selbst bewerten und damit die Entscheidung zur Informationserteilung treffen, eine Informationserteilung darf beispielsweise nicht mit dem Argument verweigert werden, dass „so etwas passieren könne“ und der Patient sich damit abfinden solle. Auf der anderen Seite ist nicht erforderlich, dass der Behandler selbst Nachforschungen anstellt, ob ein Behandlungsfehler vorliegen könne.

Take Home Message

Die Verpflichtung zur Information entsteht bei konkreten Anhaltspunkten.


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Informationsberechtigter

Wenn die Frage, ob konkrete Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler oder eine Komplikation erkennbar sind, bejaht wurde, ist zu klären, wer einen Anspruch darauf hat, diese Information zu erhalten.

Merke

Anspruchsberechtigter ist der Patient, welcher in der Regel, aber nicht zwangsläufig auch derjenige ist, der den Behandlungsvertrag geschlossen hat.

Eine Abweichung von diesem Grundsatz liegt beispielsweise dann vor, wenn der Behandelte ein Kind war. In diesem Fall haben die Eltern den Behandlungsvertrag als Vertreter des Kindes geschlossen. Es sollte selbstverständlich sein, dass einem 17-Jährigen, der beim Vertragsschluss durch seine Eltern vertreten wurde, der Informationsanspruch als Patient ebenfalls zusteht. Abgestellt werden muss im letzterem Fall darauf, dass ein 17-Jähriger „nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“ (bereits BGH, Urteil vom 5. 12. 1958 – VI ZR 266/57). Es würde auch dem Wortlaut der Norm widersprechen, lediglich das Vertragsverhältnis zu betrachten.

Merke

Erfasst sind somit grundsätzlich diejenigen Personen, die als Patienten in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen und sich der Tragweite der Behandlung bewusst sind.

Anders sieht es bei Angehörigen aus, die in keinem besonderen rechtlichen Verhältnis zum Patienten stehen. Angehörige haben keinen Anspruch auf Informationserteilung. Der Wortlaut des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB ist dahingehend eindeutig. Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Anspruch über den Wortlaut der Norm hinaus entstehen sollte. Die Ansprüche von Angehörigen sind im Behandlungsvertrag ohnehin stark beschränkt. Lediglich, wenn die Folge des Behandlungsfehlers der Tod des Patienten ist, kann sich für die Angehörigen aus § 630g Abs. 3 BGB ein Anspruch auf Einsicht in die Patientenakte ergeben. Ein Informationsanspruch nach § 630c Abs. 2 S. 2 BGB gegenüber dem Behandler entsteht aber auch in diesem Fall nicht.

Tipp

Der Behandler sollte beachten, dass in der Kommunikation mit Angehörigen sogar eine Falle liegen kann. Da Angehörige in keiner Weise privilegiert sind, gilt rein rechtlich gesehen im Verhältnis zwischen Behandler und Angehörigen dasselbe, was auch für jede andere Person gelten würde. Das bedeutet, dass insbesondere die ärztliche Schweigepflicht genauestens beachtet werden muss.

Die Erfahrung zeigt, dass Patienten bevorzugt Datenschutz- oder Schweigepflichtverstöße geltend machen, wenn es ihnen darum geht, ihrem Arzt „eins auszuwischen“. Zu einer derartigen Schieflage des Arzt-Patient*innen-Verhältnisses kann es nach einer Komplikation, für die der Behandler verantwortlich gemacht wird, durchaus kommen.

Take Home Message

Es besteht keine Pflicht und ohne Schweigepflichtentbindung auch kein Recht, die Angehörigen eines volljährigen und geschäftsfähigen Patienten zu informieren.


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Verpflichtung zur Information

Auch wenn konkrete Anhaltspunkte für eine defizitäre Behandlung bestehen, ist der Behandler nicht in jedem Fall verpflichtet, dem Patienten eine Information zu erteilen. Erforderlich ist entweder die Nachfrage durch den Patienten, oder, dass ein Verschweigen zu einer weiteren gesundheitlichen Schädigung führen würde. Der Informationsanspruch kann sogar nachvertraglich, d. h. nach Abschluss der Behandlung, fortbestehen. Zudem gilt er auch für fremde Fehler, was beispielsweise in einer Berufsausübungsgemeinschaft relevant werden kann.

Aufgrund der Nachfrage des Patienten

Die Verpflichtung des Behandlers kann dadurch entstehen, dass der Patient den Behandler direkt befragt, ob ein Behandlungsfehler aufgetreten ist. Der Begriff des „Nachfragens“ ist weit auszulegen. Die Frage, ob „alles in Ordnung“ sei, reicht bereits aus. Die Rechtsprechung versteht diese Norm so, dass auf Nachfrage auch mitgeteilt werden muss, dass keine Umstände auf einen Behandlungsfehler hindeuten (OLG Oldenburg, Beschluss vom 25.08.2015, Az. 5 U W 35/15), die sogenannte Negativauskunft.

Im Sachverhalt, der dem soeben zitierten Urteil zugrunde liegt, hat der Arzt die an ihn gerichteten Briefe eines Patienten unbeantwortet gelassen. Dies hielt das Gericht für unzulässig, der Patient hätte eine Antwort erhalten müssen. Das würde sogar dann gelten, wenn der Arzt unmittelbar nach der Operation gesagt hätte, dass er keine Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler erkennt.

Take Home Message

Es ist grundsätzlich unzulässig, die Anfragen eines Patienten bezüglich eines Behandlungsfehlers unbeantwortet zu lassen.


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Zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren

Die zweite Fallgruppe, die eine Verpflichtung zur Information begründet, ist die der „Abwendung gesundheitlicher Gefahren“. Darauf wird es aber nur in den seltensten Fällen ankommen, weil der Behandler bei einer Gesundheitsgefahr ohnehin schon nach den Grundsätzen des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB verpflichtet ist, den Patienten darüber zu informieren (Informationspflicht im Rahmen der Behandlung).

Definition

Informationspflicht zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren

Dies ist die Sicherstellung des Behandlungserfolgs durch die Erteilung von Warn- und Verhaltenshinweisen.


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Fälle der Entbehrlichkeit der Mitteilung

Nach § 630c Abs. 4 SGB V, der auch auf die Informationspflicht Anwendung findet, kann die Informationserteilung in Sonderfällen entbehrlich sein. Die beiden exemplarisch vorgesehenen Fallgruppen, nämlich die Unaufschiebbarkeit der Behandlung sowie der ausdrückliche Verzicht des Patienten, dürften allerdings nur selten einschlägig sein. Relevanter sind beispielsweise die Ausnahmegründe, dass dem Patienten der Behandlungsfehler bereits bekannt ist, sowie, dass therapeutische Gründe entgegenstehen. Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn der Patient gesundheitlich so angeschlagen und labil ist, dass ihn die Mitteilung eines zuvor übersehenen bösartigen Befundes in die Gefahr des Suizides treiben würde.

Generell ist die „Entbehrlichkeit“ nach § 630c Abs. 4 BGB sehr restriktiv auszulegen. Ein konkludenter Verzicht genügt nicht, und es gibt keinen Anhaltspunkt im Gesetz dafür, dass die Information entbehrlich ist, wenn der Behandlungsfehler nur marginal ist. Zwar liegt dann keine Gesundheitsgefahr vor, bei einer Nachfrage des Patienten muss der Behandler aber wahrheitsgemäß antworten.

Take Home Message

In Ausnahmefällen, d. h. nur bei schwerwiegenden Folgen, kann der Arzt entscheiden, dem Patienten keine Information zu erteilen. Dies ist allerdings der einzige Einfallspunkt für medizinische Erwägungen.

Fallbeispiel

In Fall 1 muss sich der Arzt nicht äußern, weil er weder gefragt wurde noch Folgeschäden drohen. In Fall 2 muss eine wahrheitsgemäße Antwort erfolgen.


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Einzelheiten der Kommunikation in Fällen des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB

Zeit und Person

§ 630c Abs. 2 S. 2 BGB erfasst eine Vielzahl an Konstellationen und geht weit über ein einzelnes Gespräch mit einem Patienten nach einer missglückten Behandlung hinaus. Tatsächlich gewinnt die Informationspflicht gerade dann an Bedeutung, wenn es während der Behandlung nicht zur Kommunikation eines Behandlungsfehlers gekommen ist und z. B. angesichts anhaltender Beschwerden ein weiterer Arzt aufgesucht wurde, der den bisherigen Behandlungsverlauf kritisiert hat.

Merke

Der Informationsanspruch kann sowohl unmittelbar nach der Behandlung als auch zu einem deutlich späteren Zeitpunkt beispielsweise zur Vorbereitung eines Prozesses geltend gemacht werden.

Genau diese Konstellation wurde in einem der wenigen Urteile, die zum Informationsanspruch vorliegen, nämlich in der Entscheidung des OLG Frankfurt, Urteil v. 07.07.2023, 25 U 306/21, behandelt. Dort ging es um die Frage, wann und auf welche Weise die Kommunikation des Behandlungsfehlers erfolgen muss. Dem Arzt wurde vorgeworfen, dass ihm während einer Dünndarmsegmentresektion ein Behandlungsfehler unterlaufen war, worüber der Patient aber nicht informiert wurde. Daraufhin kontaktierte der Patient einen Rechtsanwalt, der vom Klinikum Informationserteilung über erkennbare Umstände, welche die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, verlangte. Die Versicherung des Krankenhauses weigerte sich zunächst, Information zu erteilen, da ihr die Schweigepflichtentbindung – die der Patient nur dem Krankenhaus übermittelt hatte – noch nicht vorlag. Erst nach Klageerhebung, aber vor der Verhandlung, nahm die Haftpflichtversicherung zu den Vorwürfen Stellung. Das Gericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Schreiben der Versicherung ausreichend war, um der Informationspflicht zu genügen.

Es gilt also:

  • Die Kommunikation muss nicht unverzüglich – vorausgesetzt es besteht kein Zustand, dessen Weiterentwicklung oder Intensivierung eine gesundheitliche Gefahr darstellt – erfolgen, und der Anspruch kann auch noch erfüllt werden, wenn der Patient bereits einen Behandlungsfehler vermutet und einen Rechtsanwalt beauftragt hat. Das gilt sogar dann, wenn bereits Klage erhoben wurde.

  • Die Information muss nicht höchstpersönlich durch den behandelnden Arzt erfolgen. Dies ergibt sich daraus, dass bei einem totalen Krankenhausvertrag alleiniger Vertragspartner des Patienten der Krankenhausträger wird, was diesen zum Behandelnden und damit Verpflichteten macht. Wenn das Krankenhaus in der Rechtsform einer GmbH geführt wird, wäre somit theoretisch der Geschäftsführer verpflichtet. Dieser wird allerdings in der Regel keinerlei Einblicke in den Behandlungsablauf haben, sodass eine Delegation erfolgen darf. In dem geschilderten Fall erfolgte die Delegation zulässigerweise an den Haftpflichtversicherer des Krankenhauses.

  • Es empfiehlt sich, die Antworten, die dem Patienten über die Umstände der Behandlung gegeben werden, zu dokumentieren.

  • Jedenfalls sollten Ärzte bei Unsicherheiten ihre Berufshaftpflichtversicherung kontaktieren, bevor sie die Fragen beantworten, um zu vermeiden, dass versehentlich ein haftungsbegründendes Schuldanerkenntnis erteilt wird. Solch ein Anerkenntnis könnte nämlich eine Pflichtwidrigkeit gegenüber der Haftpflichtversicherung darstellen und für den Arzt im schlimmsten Fall den Verlust des Versicherungsschutzes mit der Folge der Haftung mit dem persönlichen Vermögen bedeuten.

Take Home Message

Wenn eine juristische Person wie ein Krankenhaus der Vertragspartner des Behandlungsvertrags geworden ist, trifft der Informationsanspruch diese bzw. deren Vertreter und nicht die behandelnden Ärzte. Bei Unsicherheiten sollte stets vorab mit dem Berufshaftpflichtversicherer kommuniziert werden.

Fallbeispiel

In Fall 3 muss die Haftpflichtversicherung oder das Krankenhaus (je nachdem, wer um Information gebeten wurde) Information erteilen. Sollte der Patient aber auch den Assistenzarzt, der den Behandlungsfehler verursacht hat, befragen, wäre dieser als Erfüllungsgehilfe ebenfalls verpflichtet, Informationen zu erteilen.


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Inhalt und Durchführung der Mitteilung

Diese Verpflichtung zur Information bietet für den Behandler Chancen und Risiken. Die Chancen liegen darin, dem Patienten durch eine ruhige und bedächtige Art zu vermitteln, dass dessen Problem ernst genommen wird. Es sollte keinesfalls der Eindruck entstehen, dass es dem Behandler lediglich darum geht, eine Komplikation herunterzuspielen. Der Patient kann auf diese Weise möglicherweise beruhigt werden und gerät nicht in Versuchung, die Schuldfrage in einem gerichtlichen Verfahren zu klären oder sich beispielsweise an die Ärztekammer zu wenden.

Ein Behandler, der sich keinen Behandlungsfehler zuschulden kommen lassen hat, würde zwar in einem solchen Verfahren nichts zu befürchten haben, aber bereits die Verwicklung in ein gerichtliches Verfahren kann für Ärzte unangenehm sein. Die Teilnahme an einer Verhandlung wird von vielen Ärzten als belastend wahrgenommen.

Die Risiken liegen einerseits in einem zu offensiven Auftreten des Behandlers, das den Patienten verärgert und zu einer Klage ermutigt, andererseits aber auch in einem zu defensiven, beschwichtigenden Verhalten, bei dem sich der Behandler zu der Verantwortlichkeit einlässt. Hier ist höchste Vorsicht zu wahren, und es sollte alles vermieden werden, was in einem späteren Verfahren als Schuldanerkenntnis gewertet werden könnte (s. u.).


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Folgen des Unterlassens der Mitteilung gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB

Die Information ist – bei Vorliegen der oben erläuterten Voraussetzungen – verpflichtend. Die Folgen eines Unterlassens sind aber in der Regel relativ gering, da eine Schadensersatzpflicht oder sogar eine Strafbarkeit in den meisten Fällen auszuschließen ist. Die Informationspflicht gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB sollte selbstverständlich eingehalten werden, von Konsequenzen kann aber nur in seltenen Fällen ausgegangen werden.

In zivilrechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage des Verstoßes gegen die Informationspflicht meistens nicht. Wenn eine Komplikation oder ein Behandlungsfehler aufgetreten ist, hat der Patient möglicherweise aufgrund dessen einen Anspruch auf Schadensersatz. Der Anspruch wegen einer Verletzung der Informationspflicht geht über diesen Anspruch nicht hinaus.

Auch auf die Verjährung des Anspruchs hat ein Unterlassen keinen Einfluss. Der Schadensersatzanspruch wegen des Behandlungsfehlers beginnt nämlich erst zu verjähren, nachdem der Patient von den Umständen erfahren hat – also zu einem späteren Zeitpunkt als zu dem, an dem die Information hätte erfolgen müssen. Denkbar ist allenfalls, dass dem Patienten ein Verzugsschaden dadurch entsteht, dass er den Schadensersatz erst später geltend machen kann.

Merke

Unabhängig von der vertragsrechtlichen Haftung steht aber die deliktsrechtliche Haftung des konkret Handelnden, welche zu einer persönlichen Schadensersatzpflicht führen kann.

In strafrechtlicher Hinsicht lässt sich einem Verstoß gegen die Informationspflicht nur eine untergeordnete Bedeutung beimessen. Es gilt der sogenannte Nemo-tenetur-Grundsatz, der besagt, dass niemand gezwungen werden darf, sich [im Strafprozess] selbst zu belasten. Vor diesem Hintergrund sind die Aussagen, die in der Antwort an den Patienten enthalten sind, nur mit Zustimmung des Arztes in einem gegen ihn geführten Strafverfahren zu verwenden (vgl. § 630c Abs. 2 S. 3 BGB).

Ein Verstoß gegen ärztliches Standesrecht kommt zwar in Betracht, dahingehend liegt derzeit aber noch keine Rechtsprechung vor. Mögliche Konsequenzen können hier sein:

  • die Rüge mit einer Geldbuße,

  • ein berufsgerichtliches Verfahren und/oder

  • die Mitteilung an die Approbationsbehörde.


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Komplikation, aber kein Behandlungsfehler

Der rechtliche Aspekt rückt in den Hintergrund, wenn die Komplikation aus der Sicht einer fachkundigen Person unter keinen Umständen auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen wäre. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB ist in dem Fall nicht einschlägig. Unter Umständen kann sich bei der Komplikation zwar eine Pflicht zur Informationserteilung nach § 630 Abs. 2 S. 1 BGB über den Behandlungsverlauf als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag ableiten lassen, unabhängig davon hat der Behandler in diesen Fällen ohnehin keinerlei rechtliche Folgen zu befürchten. Zu beachten ist, dass es auch hier zu einer angespannten Gesprächssituation kommen kann, wenn der Patient den Arzt dennoch verantwortlich macht.


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Folgen der Information

Die rechtlichen Folgen eines Behandlungsfehlers drohen dem Behandler unabhängig davon, ob eine Information erfolgt. Häufig wird die Einlassung des Behandlers zu einem Behandlungsfehler bereits zur Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung eines Behandlungsfehlers als Ursache führen oder jedenfalls ein wichtiges Beweismittel darstellen.

  • Zu nennen sind einerseits zivilrechtliche Ansprüche. Das sind solche, die eine andere natürliche oder juristische Person gegen den Behandler geltend macht. In der Regel wird dies der geschädigte Patient sein.

  • Daneben gibt es strafrechtliche Ansprüche. Bei einem Fehlverhalten des Arztes wird die Staatsanwaltschaft regelmäßig ein Ermittlungsverfahren eröffnen. Am Ende könnte der Arzt wegen eines Körperverletzungsdelikts oder in Extremfällen sogar wegen eines Tötungsdelikts angeklagt werden.

  • Ärzte unterliegen zudem dem Berufsrecht. Mit einem Behandlungsfehler einher geht häufig auch eine Verletzung der Berufsordnung, wobei die Sanktionen im Vergleich zu zivil- und strafrechtlichen Folgen häufig weniger einschneidend sind.

Take Home Message

Bei straf- oder berufsrechtlichen Folgen kommt es nicht mehr auf Vertragsverhältnisse an, sondern darauf, wer die Behandlung tatsächlich durchgeführt hat. Hier ist es also unerheblich, welche Personen am Behandlungsvertrag beteiligt sind.

Fallbeispiel

In Fall 3 wäre der Krankenhausträger zivilrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt (aus dem Behandlungsvertrag), während der Assistenzarzt aufgrund seines Fehlverhaltens neben der deliktischen Haftung unter Umständen auch straf- oder berufsrechtliche Folgen befürchten muss.

Die Pflicht aus § 630c Abs. 2 S. 2 BGB, dem Patienten über den gesamten Sachverhalt Information zu erteilen, könnte grundsätzlich auch strafrechtliche Konsequenzen für den Arzt haben, wenn die Aussage des Patienten oder eine entsprechende Niederschrift als Beweismittel genutzt werden dürfte. Hier schützt den Arzt in der Theorie § 630c Abs. 2 S. 3 BGB. Demzufolge darf die Information nach § 630c Abs. 2 S. 2 BGB nur mit Zustimmung des Behandelnden in einem gegen ihn geführten Verfahren genutzt werden, ansonsten besteht ein Beweisverwertungsverbot.

Das überrascht nicht, denn im deutschen Strafrecht gilt – wie erwähnt – der Nemo-tenetur-Grundsatz, d. h. die Selbstbelastungsfreiheit. Dieser Grundsatz ist sogar in der Verfassung normiert. Eine Regelung, die einen Arzt dazu zwingen würde, sich in einem Strafprozess selbst zu belasten, wäre dementsprechend verfassungswidrig. Allerdings besteht im deutschen Strafrecht – anders als beispielsweise in den USA – keine sogenannte Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots. Das bedeutet, dass die Aussage selbst zwar nicht als Beweismittel in einem Prozess verwendet werden darf, es aber durchaus zulässig ist, deren Inhalt als Anhaltspunkt für weitere Ermittlungsmaßnahmen zu nutzen.

Tipp

Die Staatsanwaltschaft dürfte die Information als Grundlage dafür nehmen, Mitarbeiter des Behandlers nach dem Sachverhalt zu befragen. Deren Aussagen wären ein zulässiges Beweismittel.

Merke

Einen ausgeprägten Schutz vor einer strafrechtlichen Verfolgung bietet das Beweisverwertungsverbot des § 630 Abs. 2 S. 3 SGB V nicht.

Anders sieht es im Zivilprozess aus. Dort gibt es keine Selbstbelastungsfreiheit, die Parteien sind dazu gezwungen, sich wahrheitsgemäß einzulassen. Dementsprechend können die dem Patienten erteilten Informationen vollumfänglich genutzt werden.

Take Home Message

Wer einem Patienten gegenüber einen Behandlungsfehler eingesteht, muss damit rechnen, dass diese Aussage in einem Zivilprozess gegen ihn verwendet wird.

Versicherungsschutz des Arztes

Schließlich soll erläutert werden, wie sich die Kommunikation auf den Versicherungsschutz des Arztes auswirkt. Das ist deshalb von hoher Relevanz, weil bei zivilrechtlichen Ansprüchen die Versicherung den Versicherungsnehmer, d. h. den Arzt, in der Regel von Ansprüchen des Patienten freistellt.

Es ist zwar keinesfalls so, dass ein Behandlungsfehler für Ärzte irrelevant wird, wenn ihre Versicherung einspringt – straf- oder berufsrechtliche Folgen nimmt die Versicherung dem Arzt ohnehin nicht ab. Dennoch lässt sich festhalten, dass rein wirtschaftlich gesehen nach einem Behandlungsfehler die größten Fallstricke für den Arzt in einem Fehlverhalten gegenüber seiner Versicherung liegen. Hier kann ein Fehlverhalten die Konsequenz haben, dass der Versicherungsschutz entfällt. Die Haftpflichtversicherung des Arztes ist angesichts der mit der Ausübung des Berufs verbundenen Risiken von enormer Bedeutung. Dementsprechend sieht auch die Musterberufsordnung (§ 21 MBO-Ä) den Abschluss einer Versicherung für den Arzt vor. Die konkreten Regelungen in den Berufsordnungen der jeweiligen Landesärztekammern führen mitunter zu einer Versicherungspflicht.

Wenn es zu einem Behandlungsfehler kommt, ist der Arzt dazu verpflichtet, seiner Versicherung innerhalb einer Woche die Tatsachen anzuzeigen, die seine Verantwortlichkeit gegenüber einem Dritten zur Folge haben könnten (§ 104 VVG [Versicherungsvertragsgesetz]). Wenn der Dritte seinen Anspruch gegenüber dem Versicherungsnehmer geltend macht, ist der Versicherungsnehmer zur Anzeige innerhalb einer Woche nach der Geltendmachung verpflichtet.

Merke

Ein Arzt ist verpflichtet, der Versicherung den Versicherungsfall oder die Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen zu melden – unabhängig davon, ob der Behandlungsfehler bereits im Verhältnis zwischen dem Behandler und dem Patienten kommuniziert wurde.

§ 104 VVG steht nicht in Zusammenhang mit den Regelungen über die Information nach § 630c Abs. 2 S. 2 BGB, da diese Norm nur im Verhältnis zwischen Patienten und Behandler gilt. Es muss also stets eine Mitteilung an den Versicherer erfolgen. Die Mitteilung ist für die Haftpflichtversicherung des Behandlers von hoher Relevanz. Sobald dieser gegenüber dem Patienten einen Behandlungsfehler offenbart, befindet sich der geschädigte Patient in der Regel in einer Position, in der er Ansprüche gegen den Behandler und damit gegen dessen Versicherung durchsetzen kann. Es ist dementsprechend nicht im Interesse der Versicherung, dass sich die Behandler gegenüber den Patienten äußern. Verhindern können sie es aber nicht.

Dies war auch schon vor Inkrafttreten des § 630c BGB der Fall. Auch damals durfte ein Behandler seine Schuld ohne Auswirkungen auf den Versicherungsschutz eingestehen. Das ergibt sich unmittelbar aus § 105 VVG, der besagt, dass entgegenstehende Absprachen unwirksam sind. Auf das Verhältnis zwischen dem Arzt und der Versicherung hat die Verpflichtung aus § 630c Abs. 2 S. 2 BGB somit keinen Einfluss.

Ärzte setzen sich bei Äußerungen über die Verantwortlichkeit aber dennoch einem Risiko aus, da parallel zu dieser Regelung auch noch Ziffer 5.1 AHB gilt, wonach Anerkenntnisse und Vergleiche des Behandlers für den Versicherer nur bindend sind, „soweit der Anspruch auch ohne Anerkenntnis oder Vergleich bestanden hätte“. Wenn ein Arzt also „übers Ziel hinausschießt“ und sich bereit erklärt, für einen Schaden, den er gar nicht zu vertreten hat, aufzukommen, wird ihm die Versicherung nicht helfen. Dies ist der Grund, warum von einem Schuldeingeständnis stets abzuraten ist; ob das Verhalten des Arztes einen rechtlichen Anspruch des Geschädigten begründet, sollte von einem Gericht beurteilt werden.

Cave

Ein Beispiel für eine nett gemeinte Äußerung, mit der nur ein verärgerter Patient beruhigt werden soll, die in einem späteren Prozess aber höchst problematisch werden kann: „Das hätte ich natürlich besser machen können“. Derartiges darf unter keinen Umständen gesagt werden!

Dies mag insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein offenes Gespräch mit dem Patienten wünschenswert ist (s. o.), unbefriedigend erscheinen, da eine vollständige Aufklärung und Aufarbeitung des Geschehens mit dem Patienten nur schwer denkbar ist, wenn dabei der Schuldfrage ausgewichen werden muss. Es ist allerdings von höchster Wichtigkeit, dass der Arzt seinen Versicherungsschutz nicht verliert.

Merke

Im Ergebnis ist der Arzt also zur vollständigen Transparenz verpflichtet, sowohl gegenüber der Versicherung als auch gegenüber dem Patienten.

Kernaussagen
  • § 630c Abs. 2 normiert Informationspflichten für den Behandler bei Komplikationen und Behandlungsfehlern.

  • Es muss zwischen dem Arzt und dem „Behandler“ im Sinne der Person, die den Behandlungsvertrag abgeschlossen hat, differenziert werden. Zur Informationserteilung nach § 630c Abs. 2 BGB ist derjenige, der den Behandlungsvertrag geschlossen hat, verpflichtet. Das kann beispielsweise ein Krankenhausträger sein.

  • Einen Informationsanspruch nach § 630 Abs. 2 BGB hat grundsätzlich nur der Patient selbst. Ausnahmefälle sind gesetzliche Vertreter. Sonstigen Angehörigen steht ein derartiger Informationsanspruch nicht zu. Hier ist besondere Vorsicht geboten, damit nicht gegen die ärztliche Schweigepflicht verstoßen wird.

  • Ein Arzt sollte während der Kommunikation mit Patienten zeigen, dass er deren Sorgen oder Aufregung nachvollziehen kann und ihnen helfen möchte. Keinesfalls sollte er Aussagen tätigen, die einen Rückschluss auf die Verantwortlichkeit für die Komplikation zulassen.

  • Die rechtlichen Folgen eines Behandlungsfehlers können zivil-, straf- und berufsrechtlicher Natur sein. Eine Besonderheit in einem möglichen Strafverfahren ist, dass eine Information, zu der der Arzt gesetzlich verpflichtet war, nicht als Beweismittel gegen ihn verwendet werden darf, wenn er eine Zustimmung nicht erteilt.

  • Es ist für den Arzt von höchster Bedeutung, dass sein Versicherungsschutz bestehen bleibt. Deshalb muss er unbedingt seinen Mitteilungspflichten nachkommen und darf keine Anerkenntnisse oder Schuldeingeständnisse abgeben. Dies könnte dazu führen, dass er persönlich haftet. Es empfiehlt sich deshalb, möglichst frühzeitig Kontakt zum Berufshaftpflichtversicherer aufzunehmen und das weitere Vorgehen zu besprechen.

Zitierweise für diesen Artikel

Augenheilkunde up2date 2025; 15: 73-86.
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels: Ehlers APF, Claußen A. Komplikationen und Behandlungsfehler. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2024; 19: 501–514, DOI 10.1055/a-2267-7015.


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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr. iur. Dr. med. Alexander Ehlers, München, Deutschland.


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Zitierweise für diesen Artikel

Augenheilkunde up2date 2025; 15: 73–86. DOI: 10.1055/a-2495-4713


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Prof. Dr. iur. Dr. med. Alexander P. F. Ehlers


Jahrgang 1955. Studium der Medizin und der Rechtswissenschaften. Approbation 1980, Promotion 1981. 1982–1999 in eigener Praxis als Facharzt für Allgemeinmedizin tätig. 1987 Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, seit 2005 Fachanwalt für Medizinrecht. Mitgründer der international tätigen Pharma- und Medizinrechtskanzlei Ehlers, Ehlers & Partner sowie Tätigkeit als Hochschullehrer an verschiedenen Hochschulen.

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Arne Claußen


Jahrgang 1995. 2015–2020 Studium der Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Medizinstrafrecht in Halle. 2021–2023 Referendariat in Schleswig-Holstein, dabei Tätigkeit in einer regional führenden Medizinrechtskanzlei sowie bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein. 2023 Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, zunächst angestellter Rechtsanwalt in der Kanzlei Ehlers, Ehlers & Partner, seit 2024 Justiziar bei der AMEOS Gruppe.

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Interessenkonflikt

Erklärung zu finanziellen Interessen
Forschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: nein; Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Nicht‐Sponsor der Veranstaltung): nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Sponsor der Veranstaltung): nein
Erklärung zu nichtfinanziellen Interessen
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. iur. Dr. med. Alexander P. F. Ehlers
Ehlers, Ehlers & Partner
Widenmayerstraße 29
80538 München
Deutschland   
URL: www.eep-law.de   

Publication History

Article published online:
05 March 2025

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Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany

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