Zeitschrift für Palliativmedizin 2025; 26(01): 23-26
DOI: 10.1055/a-2467-0216
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Doppelkopf: Anneke Ullrich und Christian Banse

 

Anneke Ullrich

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Während meiner wissenschaftlichen Tätigkeit in der Medizinischen Psychologie des UKE habe ich mich zur Systemischen Therapeutin und dann zur Psychoonkologin ausbilden lassen. Kein gewöhnlicher Weg nach einem Studium der Soziologie, aber für mich eine glückliche Wahl, denn über meine klinische Tätigkeit habe ich in die Palliativmedizin gefunden. Prof. Oechsle und das damalige Team der Palliativmedizin am UKE ermöglichten mir die Mitarbeit auf der Palliativstation – rasch kamen erste gemeinsame wissenschaftliche Projekte hinzu. Als Prof. Oechsle 2017 die Professur für Palliativmedizin mit Schwerpunkt Angehörigenforschung erhielt, gab sie mir die Chance, als leitende Wissenschaftlerin in ihrem Team tätig zu werden – dafür bin ich ihr unglaublich dankbar!

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Als Grundschulkind war mein Berufstraum „Wäscherin“, weil sie in einem meiner Kinderbücher gestärkte Häubchen und gerüschte Schürzen trugen – das fand ich wunderschön, so wollte ich jeden Tag aussehen. Davon habe ich inzwischen Abstand genommen. Den Wunsch nach einem anderen Beruf habe ich eigentlich nicht. Es gibt aber viele berufliche Tätigkeiten, die ich faszinierend oder besonders finde – z. B. der Beruf „Schwanenvater“, den es nur in Hamburg gibt.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Mit einem Blick von meinem Balkon, meist mit einem Becher Kaffee in der Hand. Von dort schaue ich in eine alteingesessene Schrebergartenkolonie, in der es grünt und blüht und in der die Vögel zwitschern. An anderen Tagen kriecht der Morgennebel durch die Gärten und der Rasen ist von Raureif belegt. Der Blick ist mir so vertraut – und doch jeden Tag anders. Das gibt mir Ruhe und Frische zugleich, um in den Tag zu starten.

Leben bedeutet für mich …

… wach durch die Welt zu gehen, sich dem Moment zuzuwenden und in Gemeinschaft zu sein.

Sterben bedeutet für mich …

… dass Menschen die Fähigkeit haben, auf diese Welt zu kommen, aber auch, sie wieder zu verlassen. In der Vergänglichkeit liegt ja auch das Kostbare des Lebens.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Lebensträume, große Ziele und kleinere Wünsche: ich habe noch viel vor. Einen Wunsch erfülle ich mir schon bald mit einer Reise, die ich schon lange machen wollte.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

… dass es sich lohnt, Ambivalenzen auszuhalten beziehungsweise ganz bewusst und aktiv mit ihnen umzugehen. Selten ist es im Leben ein „Entweder-Oder“, sondern viel öfter ein „Sowohl-Als-Auch“. In Ambivalenzen liegt Spannung, manchmal scheinen geradezu widerstreitende Kräfte am Werk zu sein. Beim genaueren Hinsehen spürt man dann oft, dass auch eine Schönheit und Sinnhaftigkeit darin liegt, dass das so ist.

Was würden Sie gern noch lernen?

Ich würde gern lernen, Harfe zu spielen. Dieser Wunsch ist kürzlich nochmals gewachsen, als ich in einem Konzert in der Elbphilharmonie war: zwei Harfinistinnen spielten mit und der Klang ihrer Instrumente hat mich sehr berührt. Er ist voll und zart zugleich. Auf diesen Klangteppich könnte ich mich betten und davonfliegen.

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

Nichts fühlt sich so gut an wie etwas, das man von Herzen tut. Deswegen ist meine Arbeit selbst eine wichtige Kraftquelle für mich. Ich schätze auch den Austausch mit Kolleg:innen aller Berufsgruppen in Hamburg und quer durchs Land, die sich der gleichen Sache widmen. Im Laufe der Jahre sind viele kostbare Bekannt- und Freundschaften entstanden (wie die mit Christian), die ich nicht missen möchte. Meine Batterien lade ich häufig durch gemeinsame Zeit mit der Familie und Freund:innen auf. Dann regnet es Kinderliebe, wir schauen den großen Pötten auf der Elbe nach oder gönnen uns eine kleine Auszeit am Meer. Diese Menschen sind immer für mich da und sie achten darauf, dass alle Themen zur Sprache kommen können – auch die schwierigen.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Es gibt viele Persönlichkeiten, mit denen ich mich gern austauschen würde. Denn ich frage mich oft, wie diese Menschen auf so gute Gedanken, so schöne Worte oder so fabelhafte Erfindungen gekommen sind. Doch mit einem Menschen würde ich besonders gern einmal Zeit verbringen: Sophie Scholl, Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gegen den Nationalsozialismus. Ich würde sie gern fragen: Woher nahm sie den Mut und die Entschlossenheit, zu handeln?

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

… gern einen Tag an der Seite meines Neffen verbringen, einem hochbegabten, autistischen Kind. Er erlebt die Welt auf eine ganz besondere Weise. Durch sein Sosein ist jede Situation für ihn ein Unikat. Er sieht Dinge, die ich nicht sehe, er versteht Dinge anders, als ich sie verstehe – und öffnet mir damit regelmäßig die Augen. Oft liegen ihm aber auch Steine im Weg, er bleibt auf sich bezogen und unverstanden, auch von mir. Durch einen Tag, an dem ich unsichtbar an seiner Hand gehe, würde ich gern unmittelbar spüren, wie er wahrnimmt, denkt und fühlt, welche Stärken er durch seine andere Art des Denkens hat, aber auch, mit welchen Herausforderungen er durch sein Leben geht. Ich würde wahrscheinlich staunen.

Wie können Sie Christian Banse beschreiben?

Christian ist ein Mensch, der unglaublich viel Weisheit in sich trägt. In Gesprächen fallen diese Weisheiten wie kleine Schneeflocken und landen sachte dort, wo man sie gut gebrauchen kann. Er ist ein wunderbarer Beobachter und Zuhörer, der verstehen möchte, was ihm erzählt wird und was um ihn herum geschieht. Er hinterfragt die Dinge, geht ihnen auf den Grund und gibt sich nicht vorschnell zufrieden. Dabei hat Christian die Gabe, anderen Meinungen und neuen Gedanken Raum zu geben, sie wertzuschätzen und wie einen reflektierenden Spiegel für sich persönlich und sein wissenschaftliches Arbeiten zu nutzen. Er ist für mich ein wahres Vorbild, wie er sich so den Fragen seines Lebens und den Fragen, denen er seine Forschung widmet, nähert.Christian ist ein sehr wahrhaftiger, humorvoller und mitfühlender Mensch, dessen Freundschaft für mich ein großes Geschenk ist.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Ich tauche gern noch in eine andere Welt ein, wenn ich im Bett liege – leider schlafe ich dabei oft ein. Der Vorteil: Mir ist immer noch unbekannt, wer die Morde in meinem aktuellen Hörbuch-Krimi begangen hat …

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Mich hat noch niemand gefragt: Träumst du in Farbe oder Schwarz-Weiß? Ich träume oft und meist angenehm bis heiter.

Zur Person

Ich bin 44 Jahre alt und bin gemeinsam mit zwei Schwestern in der Nähe von Hamburg aufgewachsen. Nach meinem Abitur im Jahr 1999 habe ich an der Otto-Friedrich- Universität Bamberg mit dem Studium der Soziologie begonnen. Für ein Jahr durfte ich im Rahmen eines Erasmus-Stipendiums an der Kuopio University, Finnland, Gesundheitssoziologie und Public Health studieren. Nach meinem Diplom zog es mich nach Hamburg und ich begann im Jahr 2006 meinen wissenschaftlichen Werdegang als Mitarbeiterin im Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), wo meine Schwerpunkte zunächst in Forschungs- und Versorgungsprojekten der Gesundheitsförderung und Prävention und dann insbesondere in der psychoonkologischen Rehabilitations- und Versorgungsforschung lagen. Seit 2016 war ich dann auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Palliativmedizin des UKE tätig. Meine aktuelle Position als leitende Wissenschaftlerin und Psychoonkologin in der Palliativmedizin habe ich seit 2017 inne. Meine aktuellen Schwerpunkte liegen in der Versorgungs- und psychoonkologischen Forschung mit Fokus auf Angehörigenperspektiven und -bedürfnisse und die Entwicklung und Evaluation von entsprechenden Unterstützungsangeboten. Besonders interessiere ich mich auch dafür, wie Betroffene selbst als Forschungspartner:innen strukturiert an der palliativmedizinischen Forschung beteiligt werden können.

Ich bin klinisch ausgebildet als Systemische Beraterin und Therapeutin, Psychoonkologin und Beraterin für Ethik im Gesundheitswesen. Seit vielen Jahren unterrichte ich Medizinstudierende, Ärzt:innen und Pflegefachpersonen u. a. zu Angehörigenthemen, psychosozialen Aspekten in der Onkologie und Palliativmedizin und Kommunikation.


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Christian Banse

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Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Im Grunde bin ich nicht in dieses Feld „gekommen“, sondern ich bin eher in es reingefallen. Als Soziologe habe ich ein Tätigkeitsfeld gesucht, in dem ich nicht nur Konzepte und Begriffe diskutiere, sondern Realität wahrnehme – eine Realität, mit der wir uns alle auseinandersetzen (müssen) auf die eine oder andere Weise: der Realität des Sterbens. Palliativmedizin, hospizliche Versorgung, die vielen Berufe und Ehrenamtliche, die sich hier einfinden, sind für mich bis heute der hochspannende Rahmen, in dem ich forschen kann. Als ich mich spontan auf eine Stelle in einem Projekt zur Palliativversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund beworben hatte, hatte ich nie gedacht, dass ich genommen werde. Ich bin Prof. Nauck und dem damaligen Team unendlich dankbar, dass sie mir so viele Möglichkeiten geboten haben, mich in dieses Feld ‚einzugraben‘, wo ich so viele wunderbare Personen (wie Anneke) kennenlernen durfte. Dass ich dann Leitungsfunktionen übernehmen und mich derart breit und erfolgreich vernetzen durfte, sind weitere Möglichkeiten, die ich nicht erwartet hatte.

Was wäre für Sie die berufliche Alternative?

Nachdem sich Profifußball und Comic-Zeichner als Optionen zerschlagen hatten (aus unterschiedlichen Gründen), ist Wissenschaft und Forschung für mich erste Wahl. Eine Alternative wäre politische Bildungsarbeit, in der ich immer wieder gerne aktiv war.

Wie beginnen Sie Ihren Tag?

Müde.Zu einem guten Morgen gehört dann das Lesen von Romanen und Philosophie, mit einem Milchkaffee. Und etwas Sport. Aber es gibt auch den Tagesbeginn mit dringenden Mails und Telefonaten, die Alltag und Ausnahme unheilvoll verschränken.

Leben bedeutet für mich …

… dass ich nur dieses eine habe, und dass ich nicht alleine lebe, nicht mit ihm alleine bin, sondern dass wir „Gattung“ sind, dass wir Menschheit sind.

Sterben bedeutet für mich …

… dass es kein Zurück gibt, dass wir endlich sind und dass darin – trotz aller Verlusterfahrungen – auch der Trost liegt, dass wir nicht über allem stehen.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Mit dem Thema gehe ich so um wie in Märchen oder Gruselgeschichten: Wird der Wunsch ausgesprochen, wird er nicht in Erfüllung gehen. Ansonsten würde ich es schön finden, wenn ich endlich mein Büro aufgeräumt bekomme. (Geht der Wunsch jetzt noch in Erfüllung?)

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist …

(passend zu der Frage eben) die Erkenntnis, die meine philosophische Freundin schmerzhaft mir deutlich machte, dass wir in erster Linie Wunschmaschinen sind, die sich vor der Realität fürchten, dass wir unsere Vorstellungen und Selbstbilder hinterfragen müssen, wenn wir zu unserer sozialen, also gemeinsamen Realität vordringen wollen.

Was würden Sie gern noch lernen?

Die eben genannte Erkenntnis auch umzusetzen …, aber auch alles zu vertiefen, was ich denke und noch immer nicht begriffen habe; etwa warum wir uns auf Unterscheidungen und Abgrenzungen versteifen, anstatt auf Gemeinsamkeiten und Überschneidungen. Und die ganzen kindlichen Warum-Fragen: Warum gibt es Gesetze, welche sind wichtig, warum hat Vernunft ihre Grenzen und welche Bedeutung haben Gefühle, warum verhalte ich mich in Gruppen anders als zu zweit, und wie lerne ich, mich verständlich auszudrücken?

Woraus schöpfen Sie Kraft für Ihre Arbeit?

In dem Wissen, dass das, was ich denke, auch irgendwo von anderen gedacht wird – aus dieser Erfahrung der Annährung.

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Ich würde gerne den preisgekrönten Comic-Zeichner Joann Sfar kennenlernen, der mit der Katze des Rabbiners ein Stück geradezu Literaturgeschichte entstehen lässt, wenn seine sprechende Katze unbequeme Wahrheiten seiner Umwelt entgegenschleudert – etwa, was den Umgang der Gesellschaft mit Sterben und Tod betrifft. Tatsächlich habe ich Personen, auch „öffentliche“, die mich beeindruckten, auch immer kennenzulernen versucht und manche auch kennengelernt.

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

… ehrlich gesagt: mich schämen, weil die Anderen mich nicht sähen und nicht wüssten, dass ich sie sehe … Aber wenig schlechtes Gewissen hätte ich, mich unsichtbar wegen der Ticket-Preise in ein Finale der NBA, der Liga im amerikanischen Basketball, einzuschmuggeln und zuzuschauen.

Wie können Sie Anneke Ullrich beschreiben?

Anneke ist ein Phänomen, möchte ich enthusiastisch festhalten. Wir kennen uns inzwischen eine lange Zeit und in unseren Gesprächen ist sie von der Intensität und Fokussierung, von der Ehrlichkeit und Direktheit (bei gleichzeitiger geradezu unglaublicher Freundlichkeit) so sehr „anwesend“, dass ein jedes Treffen eine Freude ist. Sie stand mir zurzeit des Versterbens meiner Mutter mit viel Rat bei, was ich ihr nie vergesse. In unserem ersten langen Gespräch haben wir uns eine lange Zugfahrt von Süddeutschland aus unterhalten, und mir kommt es vor, als würde dieses Gespräch niemals enden, wir setzen, wenn wir uns sehen oder hören, es so fort, als hätten wir es gestern begonnen.Nicht unterschlagen, sondern ebenso enthusiastisch hervorheben möchte ich, dass Anneke eine herausragende Wissenschaftlerin (und eine Soziologin-Kollegin) ist, die nicht nur geradezu umfassend ausgebildet ist, sondern eine solche Genauigkeit, eine solche Tiefe beim wissenschaftlichen Vorgehen an den Tag legt, dass ich immer wieder staune, was möglich ist.

Wie beenden Sie Ihren Tag?

Müde.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Ja, eigentlich genau diese Frage. Vermutlich würde ich dann nach einer Antwort suchen. Noch nie hat mich jemand gefragt, wie ich auf meine Antworten komme.

Zur Person

Ich wurde in Elmshorn in Schleswig-Holstein geboren. Neben dem Leistungssport war das viele Lesen wichtig. Nach dem Abitur ging es nach Göttingen, wo ich zunächst Sport und Germanistik, später dann Politikwissenschaft und vor allem Soziologie studierte. Nach dem Magister (über das Thema Kulturindustrie, also der Funktion von Kunst und Kultur in der Gesellschaft) promovierte ich zu „nationalen Grenzerfahrungen“, zur Funktion und Wirkung von (staatlichen) Grenzen. Nach politischer Bildungsarbeit zu Antisemitismus, wissenschaftsjournalistischen Texten und diversen Lehraufträgen in Mainz und Berlin habe ich am Institut für Soziologie in Göttingen als Lehrkraft für besondere Aufgaben und später in einer Pflegeschule als Lehrkraft für Soziologie und Ethik gearbeitet. Schließlich bin ich nun fast 10 Jahre in der Forschung des Palliativzentrums der Universitätsmedizin Göttingen tätig, wo ich in der Versorgungsforschung arbeite und habilitieren möchte und zu Themen wie Palliativversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund, gesellschaftliche Folgen der COVID-19-Pandemie, moralische Vorstellungen in der Pflege und vielen weiteren Themen forsche. Mit Maximiliane Jansky zusammen fungiere ich als Leitung/Koordination der Forschungsabteilung. Ich bin in Netzwerken der Soziologie und interdisziplinären Grenzforschung und besonders in der DGP aktiv, u. a. zusammen mit Asita Behzadi als Sprecher der AG Palliativversorgung und Menschen mit Migrationsgeschichte und im Wissenschaftlichen Komitee der Wissenschaftlichen Arbeitstage.


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Publication History

Article published online:
03 January 2025

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