Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2025; 60(01): 9
DOI: 10.1055/a-2453-6335
Neues aus der Forschung

Schädel-Hirn-Trauma: Zurückhaltende oder großzügige Bluttransfusion?

Contributor(s):
Elke Ruchalla
Turgeon AF. et al.
Liberal or Restrictive Transfusion Strategy in Patients with Traumatic Brain Injury.

N Engl J Med 2024;
391: 722-735
DOI: 10.1056/NEJMoa2404360
 

    In den letzten Jahren hat sich auch bei Schwerkranken die Indikation für die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten verschoben, denn hohe Hämoglobinkonzentrationen konnten im Vergleich zu geringeren Werten die Sterblichkeit nicht durchgängig senken – wobei neurologische Schäden nicht in die Auswertung eingingen.


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    Ob aber niedrigere Grenzwerte für eine Transfusion auch bei Schädel-Hirn-Traumata (SHT) gelten, ist umstritten: Denn gerade das Gehirn könnte bei Sauerstoffmangel – aufgrund einer zu geringen Menge an O2-liefernden Erythrozyten – zusätzliche Schäden erleiden, die im Verlauf zu (weiteren) neurologischen Funktionsstörungen führen. Die internationale Studie HEMOTION (Hemoglobin Transfusion Threshold in Traumatic Brain Injury Optimization) hat nun bei diesen Patienten 2 Hämoglobin-Grenzwerte zur Transfusionsindikation verglichen.

    Turgeon und Kollegen haben 736 Patienten mit moderatem bis schwerem SHT (3–12 Punkte auf der Glasgow Coma Scale [GCS]) und Anämie (Hämoglobinkonzentration ≤ 10 g/dl) in eine multizentrische randomisierte Studie aufgenommen. Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip einer von 2 Behandlungsgruppen zugeteilt:

    • Transfusion bei Hb-Werten ≤ 10 g/dl (n = 369; Gruppe 1, liberale Transfusionsstrategie)

    • Transfusion bei Hb-Werten ≤ 7 g/dl (n = 367, Gruppe 2, restriktive Transfusionsstrategie)

    Als primären Endpunkt beurteilten die Wissenschaftler ein schlechtes neurologisches Outcome nach 6 Monaten anhand der Glasgow Outcome Scale – Extended (GOS-E; 1: Tod; 8: Alltagsaktivitäten uneingeschränkt möglich). Dabei ging in die Auswertung auch die Prognose der Patienten zu Studienbeginn ein (ungünstig, mäßig, günstig):

    Danach war ein schlechtes funktionelles neurologisches Ergebnis definiert als

    • 3 GOSE-Punkten bei Patienten mit anfänglich ungünstiger Prognose

    • 4 GOSE-Punkten bei Patienten mit anfänglich mäßiger Prognose

    • 5 GOSE-Punkten bei Patienten mit anfänglich günstiger Prognose

    Sekundäre Endpunkte umfassten u. a. die Lebensqualität, die funktionelle neurologisch Unabhängigkeit im Alltag und depressive Symptome nach 6 Monaten.

    Die mediane Hb-Konzentration während der Behandlung auf der Intensivstation betrug 10,8 g/l in Gruppe 1 und 8,8 g/dl in Gruppe 2.

    In die Auswertung des primären Endpunkts gingen 722 Patienten ein (Durchschnittsalter knapp 49 Jahre, nahezu 3 Viertel Männer). Die Forscher fanden ein schlechtes neurologisches Outcome

    • bei 249 Patienten (68.4%) in der Gruppe mit liberaler Transfusion und

    • bei 263 Patienten (73,5%) in der Gruppe mit restriktiver Transfusion

    Dabei waren die Ergebnisse über die 3 Prognosegruppen etwa gleich verteilt, auch Subgruppenanalysen, etwa nach Alter, Geschlecht, Schwere des SHT und vorbestehende Herzerkrankungen, zeigten keine Gruppe, die besonders profitierte oder besonders ungünstige Ergebnisse aufwies.

    Im Hinblick auf die sekundären Endpunkte ging die liberale Transfusionsstrategie mit besseren Ergebnissen in einigen, jedoch nicht allen Subskalen des FIM (FIM: Functional Independence Measure) und der Lebensqualität einher. Beziehungen zwischen Sterblichkeit und Depression abhängig von den unterschiedlichen Strategien waren nicht nachweisbar.

    Venöse Thrombembolien traten in beiden Gruppen bei jeweils 8,4% der Patienten auf, ein ARDS entwickelten 3,3% der Patienten in Gruppe 1 und 0,8% der Patienten in Gruppe 2.

    Fazit

    Nach diesen Daten lässt sich kein endgültiger Schluss zur Transfusionsstrategie bei Patienten mit mindestens moderatem Schädel-Hirn-Trauma ziehen, so die Autoren. Auch wenn die großzügigere Transfusion bei einigen sekundären Teil-Endpunkten zu besseren Ergebnissen führte, ist damit der Wert dieses Vorgehens nicht belegt. Darüber hinaus handelte es sich nicht um eine „Nicht-Unterlegenheits-Studie“ der restriktiven Transfusion, sodass mögliche Schäden dieses Vorgehens nicht auszuschließen sind.

    Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim


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    Publication History

    Article published online:
    08 January 2025

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