Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-2346-9788
Ein T-Wellen-Twist im EKG – ein Fallbericht aus der Arztpraxis
T-wave-Twist – A Case Report from a Medical PracticeZusammenfassung
Anhand der vorliegenden Kasuistik soll die entscheidende Rolle des Erkennens von Hoch-Risiko-EKGs bei Patienten mit Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom (ACS) verdeutlicht werden. Bei einem 59-jährigen Patienten zeigte sich in einem beschwerdefreien Intervall im EKG das Wellens-Zeichen, als Hinweis auf ein NSTE-ACS (Nicht-ST-Strecken-Hebung-[NSTE-]ACS). Bei intermittierender Belastungsdyspnoe und thorakalem Brennen mit langen beschwerdefreien Intervallen war die Diagnosestellung bei diesem Patienten eine Herausforderung. In der aktualisierten Leitlinie von 2023 zum Management des akuten Koronarsyndroms wurde erstmals das Wellens-Zeichen als NSTE-Hoch-Risiko-EKG aufgenommen, da diese Patienten ein hohes Risiko besitzen, einen Vorderwandinfarkt zu entwickeln. Durch das Erkennen von Hoch-Risiko-EKGs in der Akutmedizin kann ein effizientes Zeitmanagement für invasive Diagnostik und Therapie erzielt werden.
#
Abstract
The present case aims to illustrate the crucial role of the detection of high-risk ECGs in patients with suspected acute coronary syndrome (ACS). In a 59-year-old patient, the Wellens sign appeared on the ECG at a symptom-free interval, indicating NSTE-ACS (non-ST-segment elevation-[NSTE-]ACS). In the case of intermittent shortness of breath and thoracic burning with long symptom-free intervals, diagnosis in this patient was challenging. In the updated 2023 guideline on the management of acute coronary syndrome, the Wellens sign was included for the first time as an NSTE high-risk ECG, as these patients are at high risk of developing anterior wall infarction. By recognizing high-risk ECGs in acute medicine, efficient time management for invasive diagnostics and therapy can be achieved.
#
Schlüsselwörter
Wellens-Zeichen - Hoch-Risiko-EKG - Nicht-ST-Strecken-Hebung [NSTE]-ACS - Wellens-SyndromEinleitung
Wenn ein Patient von Belastungsdyspnoe und thorakalem Brennen beim Radfahren berichtet und den Verdacht äußert, neuerdings ein Asthma bronchiale entwickelt zu haben, sollte man dies durchaus als Diagnose in Betracht ziehen. Es muss aber unbedingt auch eine kardiale Ursache ausgeschlossen werden. Und in seltenen Fällen sehen wir dann EKG-Veränderungen, die wir nicht erwartet hätten. Hoch-Risiko-EKGs können uns im Notarzteinsatz, in der Notaufnahme oder in der Arztpraxis begegnen. Deshalb sollten wir in der Lage sein, sie zu erkennen, um diesen Patienten die entsprechende Diagnostik und Intervention zeitnah zukommen lassen zu können.
Hoch-Risiko-EKGs sind:
-
klassischer STEMI
-
posteriorer STEMI
-
rechtsventrikulärer STEMI
-
Sgarbossa-Kriterien bei Linksschenkelblock und Schrittmacher-EKG
-
Hauptstammstenose mit ST-Hebung in aVR und multiple ST-Senkungen
-
Inversion der T-Welle in I, II, aVL und V2–V6
-
anhaltende oder vorübergehende ST-Strecken-Senkungen
-
vorübergehende ST-Strecken-Hebungen
-
De-Winter-T-Welle
-
Wellens-Zeichen
(2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes) ([Abb. 1])


#
Fallbericht
Ein 59-jähriger Patient stellte sich in der Akutsprechstunde vor. Er berichtete von einer seit ca. 2 Wochen bestehenden Belastungsdyspnoe verbunden mit thorakalem Brennen, das in den Hals und den Rücken ausstrahlte. Diese Beschwerden waren neu und traten bereits bei leichter Belastung, wie Gehen oder Radfahren, auf. Weiter berichtete der Patient, dass er einen Leistungsknick verspürte und sich beim Sport nicht mehr ausbelasten konnte. Ein pulmonaler Infekt oder ein Husten lagen nicht vor. Kardiale oder pulmonale Vorerkrankungen bestünden nicht. In Ruhe war der Patient komplett beschwerdefrei.
In der klinischen Untersuchung waren Herz und Lunge auskultatorisch unauffällig. Es bestanden keine Beinödeme. Die Vitalparameter waren stabil: Blutdruck 140/90 mmHg, HF 56/min, SpO2 98%. In der Spirometrie lag der FEV1-Wert bei 120% ohne Hinweis für eine Obstruktion.
Im EKG zeigte sich eine Sinusbradykardie mit einer HF von 52/min, Linkslagetyp, normale Herzzeiten und auffällig invertierte T-Wellen in den Brustwandableitungen (V2) V3–V5 ([Abb. 2], [Abb. 3]).




An Vorerkrankungen waren eine Angst- und Panikstörung und eine diffuse Struma bekannt, die mit einer Dauermedikation gut eingestellt waren. Ein Nikotinabusus wurde verneint. Anamnestisch berichtete der Patient von einer regelmäßigen sportlichen Aktivität. Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen waren eine arterielle Hypertonie, eine Hyperlipidämie und eine Adipositas.
Aufgrund der Anamnese und der auffälligen EKG-Veränderungen in den Brustwandableitungen wurde die Verdachtsdiagnose einer instabilen Angina pectoris gestellt. Bei Beschwerdefreiheit erfolgte zunächst eine ambulante kardiologische Vorstellung. In der Echokardiografie zeigte sich eine Hypo- bis Akinesie septal, anteroseptal und apikal, bei einer normalen globalen linksventrikulären und einer normalen diastolischen Funktion. Ein Perikarderguss konnte ausgeschlossen werden.
Der Patient wurde umgehend in ein Haus der Maximalversorgung zur Herzkatheteruntersuchung eingewiesen. Dort bestätigten sich bei der Patientenaufnahme die EKG-Veränderungen sowie die Auffälligkeiten in der Echokardiografie. In der Herzkatheteruntersuchung zeigte sich eine koronare 1-Gefäß-Erkrankung. Es erfolgte eine Intervention mit PTCA und Implantation von jeweils einem Drug Eluting Stent in die mediale LAD sowie den medialen R. diagonalis bei subtotalen Stenosen. Die Intervention konnte ohne Komplikationen durchgeführt und der Patient am Folgetag in gutem Allgemeinzustand und beschwerdefrei entlassen werden.
In diesem Fall spricht bereits die Symptomatik für ein akutes Koronarsyndrom, und das EKG präsentiert ein Hoch-Risiko-EKG in Form des Wellens-Zeichens. Definitionsgemäß zeigt das Wellens-Zeichen Typ B (wie es hier auftrat) symmetrisch tief invertierte T-Wellen vor allem in den Brustwandableitungen V2 und V3 und deutet auf einen Verschluss der proximalen LAD (R. interventricularis anterior) hin. Bei Patienten mit dieser klinischen Präsentation und dem typischen EKG-Befund ist eine Koronarangiografie zeitnah durchzuführen [1] ([Abb. 4]).


#
Diskussion
Im August 2023 wurde die neue Leitlinie zum Management des akuten Koronarsyndroms (ACS) veröffentlicht. Im Vergleich zu den vorherigen Leitlinien werden erstmals STEMI (ST-Hebungsinfarkt) und NSTE-ACS (Nicht-ST-Strecken-Hebung-[NSTE-]ACS) als das Syndrom ACS in einer Leitlinie zusammengefasst [1].
An den Empfehlungen der Diagnostik und Therapie eines STEMI hat sich in der neuen Leitlinie nicht viel geändert. Anders beim NSTE-ACS: Inzwischen ist bekannt, dass bei 25% der Patienten mit einem NSTE-ACS in der Angiografie nachweislich eine Gefäßstenose vorliegt, was wiederum mit einer erhöhten Mortalität verbunden ist. Aus diesem Grund richtet sich in der neuen Leitlinie mitunter der Fokus auf die Darstellung von NSTE-Hoch-Risiko-EKGs, um potenziell gefährdete Patienten identifizieren zu können. Neben einem unauffälligen EKG mit entsprechender Klinik sind vor allem vorübergehende ST-Strecken-Hebungen, anhaltende oder vorübergehende ST-Strecken-Senkungen und T-Wellen-Anomalien von großer Bedeutung. Hier werden auch erstmals die De-Winter-T-Wellen und das Wellens-Zeichen abgebildet.
Das Wellens-Zeichen kommt im Rahmen des Wellens-Syndroms vor, das folgende Charakteristika beinhaltet:
-
typische T-Wellen-Veränderungen im schmerzfreien Intervall einer Angina pectoris
-
keine signifikanten ST-Strecken-Hebungen
-
eine erhaltene präkordiale R-Progression und keine präkordialen Q-Wellen
-
pektanginöse thorakale Schmerzen in der Vorgeschichte und
-
normale bis minimal erhöhte Herzenzyme [2]
Patienten mit dem Wellens-Syndrom beschreiben die Symptome eines akuten Koronarsyndroms: thorakale Schmerzen, Brustenge oder einen Druck auf der Brust, ausgelöst durch körperliche Aktivität und nachlassend in Ruhe. Die Schmerzen strahlen häufig in den Nacken, das Kinn oder die Schultern aus. Aufgrund einer temporären Obstruktion der LAD (im Rahmen einer koronaren Gefäßerkrankung) stellt das Wellens-Syndrom ein Prä-Infarkt-Stadium dar. Durch die instabile koronare Perfusion besitzen diese Patienten ein sehr hohes Risiko, einen Vorderwandinfarkt zu entwickeln.
Da die Patienten bei der ärztlichen Konsultation üblicherweise beschwerdefrei sind und als einziger Hinweis auf ein akutes Koronarsyndrom die auffälligen EKG-Veränderungen in Form des Wellens-Zeichen bestehen [3], ist die klinische Einschätzung eines Patienten mit Wellens-Syndrom sehr schwierig.
Deshalb muss in dem beschriebenen Fall vor allem das Zeitmanagement kritisch betrachtet werden. Vom Zeitpunkt der Verdachtsdiagnose einer instabilen Angina pectoris bis zur Intervention im Herzkatheterlabor vergingen 7 Tage. Aufgrund der fluktuierenden Symptomatik mit langen beschwerdefreien Intervallen wurde die Dringlichkeit einer invasiven Diagnostik und ggf. Therapie zunächst unterschätzt.
Nach den 2023 ESC Guidelines ACS hätte der Patient jedoch einer frühen invasiven Koronarangiografie unter stationären Bedingungen zugeführt werden sollen [1].
Von dem Wellens-Zeichen mit invertierten T-Wellen in V2 und V3 sind physiologische Ausnahmen abzugrenzen: In der Brustwandableitung V1 darf die T-Welle negativ sein und hat keinen krankhaften Charakter. Wenn der zur T-Welle zugehörige QRS-Komplex überwiegend negativ ist, muss eine gleichzeitige negative T-Welle nicht unbedingt pathologisch sein (konkordant negatives T).
In Anbetracht der Tatsache, dass das akute Koronarsyndrom den häufigsten Grund für einen Rettungseinsatz in Deutschland darstellt, verdeutlicht dieser Fall, wie wichtig es ist, Hoch-Risiko-EKGs sicher zu erkennen, um eine entsprechend dringliche Behandlungsindikation ableiten zu können.
#
#
Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
-
Literatur
- 1 Byrne RA, Rossello X, Coughlan JJ. ESC Scientific Document Group. et al. 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes. Eur Heart J 2023; 44: 3720-3826
- 2 Ramanathan S, Soaly E, Cherian A. et al. ‘T’ twist: Wellens syndrome. QJM 2019; 112: 373-374
- 3 Miner B, Grigg WS, Hart EH. Wellens Syndrome. StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2024
Korrespondenzadresse
Publication History
Received: 01 March 2024
Accepted after revision: 15 June 2024
Article published online:
09 July 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
-
Literatur
- 1 Byrne RA, Rossello X, Coughlan JJ. ESC Scientific Document Group. et al. 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes. Eur Heart J 2023; 44: 3720-3826
- 2 Ramanathan S, Soaly E, Cherian A. et al. ‘T’ twist: Wellens syndrome. QJM 2019; 112: 373-374
- 3 Miner B, Grigg WS, Hart EH. Wellens Syndrome. StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2024







