Dtsch Med Wochenschr 2025; 150(01/02): 11
DOI: 10.1055/a-2260-6280
Aktuell publiziert

Kommentar zu „Neues duales Wirkprinzip verbessert Behandlungschancen bei CLL“

Contributor(s):
Eugen Tausch
 

Die FLAIR-Studie unterstreicht die Bedeutung der Kombination aus Ibrutinib und Venetoclax als neuer Meilenstein der effektiven Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL), wird doch ein beispielloses progressionsfreies Überleben (PFS) und Gesamtüberleben (OS) erreicht. Und dennoch gibt es an dieser Studie Kritik: Dies sind insbesondere die sehr junge Patientenkohorte mit einem Durchschnittsalter von nur 62 Jahren, der Ausschluss von Patienten mit einer Hochrisiko-CLL mit del(17p)/TP53Mutation und der in Deutschland nicht mehr zeitgemäße Vergleichsarm einer Immunchemotherapie. Vor allem aber ist es die fehlende Perspektive einer Zulassung des MRD-gesteuerten Behandlungskonzepts, sodass FLAIR trotz aller Begeisterung eine weitere Studie zur Machbarkeit einer MRD-gesteuerten Therapie ist (MRD: messbare Resterkrankung), hier mit der Kombination Ibrutinib + Venetoclax. Lassen sich dennoch Schlüsse aus der großen multizentrischen Studie für zukünftige Behandlungskonzepte oder die tägliche Praxis ziehen?

Seit August 2022 ist die Kombination Ibrutinib + Venetoclax bereits in der EU zugelassen und ist damit neben Obinutuzumab + Venetoclax (V+O) die einzige Option für eine moderne, zeitlich begrenzte Therapie in der Erstlinie, zudem die einzige vollständig orale. Die Behandlung ist dabei auf 15 Monate begrenzt, unabhängig vom Erreichen einer nicht detektierbaren MRD (uMRD). FLAIR fügt dem Therapiekonzept somit zunächst eine Therapieverlängerung auf mindestens 2, höchstens 6 Jahre hinzu, abhängig von der MRD, was zunächst als Fortschritt, hin zur individualisierten Therapie erscheint [1]. Allerdings beinhaltet das Konzept Schwächen: Zum einen deckt die MRD-Messung im peripheren Blut nicht die komplette Tumorlast ab, denn der Befall der Lymphknoten, der Milz, des Knochenmarks wird dadurch nicht miterfasst. Zudem besteht unter der Ibrutinib-Therapie die Besonderheit, dass es zu einer kontinuierlichen Umverteilung von CLL-Zellen aus sekundären lymphatischen Organen in das periphere Blut kommt, was bei Therapiebeginn zur typischen Lymphozytose, im späteren Verlauf zu einer länger nachweisbaren MRD führt. Insbesondere bei Patienten mit mutiertem IGHV Status (M-IGHV) ist die Ausschwemmung von Tumorzellen stärker ausgeprägt und länger anhaltend [2]. In FLAIR führt dies zu einer längeren und damit intensiveren Behandlung von Patienten mit M-IGHV (im Median 44 Monate) – im Vergleich zu Patienten mit unmutiertem IGHV (24 Monate). Dabei sprechen gerade Patienten mit M-IGHV lange anhaltend auf zeitlich begrenzte Therapieregime an, auch auf eine Immunchemotherapie [3] [4]. So ist für Patienten mit M-IGHV auch in der FLAIR-Studie keine Überlegenheit von I+V gegenüber FCR sichtbar, und das trotz der vielfach längeren Behandlung. Schon in der GLOW-Studie wurde gezeigt, dass Patienten mit M-IGHV nach auf 15 Monate festgelegter Behandlungsdauer ein langes PFS haben – und dies auch dann, wenn bei ihnen zum Therapieende noch eine minimale Resterkrankung nachgewiesen wurde [5]. Für diese Patientengruppe, die in der Erstlinie etwa 40% der CLLs ausmacht, ist in vielen Fällen eine Therapieverlängerung nicht erforderlich und stellt somit eine Übertherapie dar.

Dies deutet auf ein allgemeines Problem der MRD-Steuerung: Der Verlauf nach Erreichen der uMRD und dem damit verbundenen Therapiestopp ist sehr heterogen, wird aber maßgeblich von genetischen Risikofaktoren beeinflusst, allen voran dem IGHV-Status. So wurde in den Studien MURANO und CLL14 eine etwa doppelt so lange Lymphozyten-Verdoppelungszeit für M-IGHV im Vergleich zu U-IGHV gemessen, was das deutlich spätere Rezidiv von M-IGHV-Patienten nach zeitlich begrenzter Behandlung erklärt [3] [4]. Denkt man also das individualisierte Konzept weiter, so sollten die Besonderheiten genetischer Subgruppen für den MRD-Zielwert berücksichtigt werden: So könnte für Subgruppen mit einem positiven Risikoprofil ein MRD Zielwert von 10–2 bereits ausreichend sein, während für Patienten mit U-IGHV oder dem Nachweis einer del(17p)/TP53 Mutation eine tiefere Remission anzustreben wäre.

Überzeugend sind hingegen die Sicherheitsdaten aus der FLAIR-Studie, die sich aufgrund der Zulassung von Ibrutinib + Venetoclax bei definierter Behandlungsdauer von 15 Monaten auch in die Praxis übertragen lassen. Gerade im ersten Jahr der Behandlung traten Nebenwirkungen in Grad-3/4 nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich auf, bis auf Neutropenien, die allerdings nur selten zu fieberhaften Infekten führten. So bestätigt FLAIR, dass die Kombination aus Ibrutinib + Venetoclax, gerade für jüngere und fitte CLL-Patienten ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren, eine sichere und gut verträgliche, zeitlich begrenzte Therapieoption darstellt.


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Dr. Eugen Tausch

Assistenzarzt am Comprehensive Cancer Center Ulm (Univeristätsklinikum Ulm) mit den Schwerpunkten Early Clinical Trials Unit und Molekulare Tumortherapie

Interessenkonflikt

Der Autor erhielt innerhalb der vergangenen 3 Jahre Unterstützung durch die Firmen Abbvie, AstraZeneca, BeiGene, Janssen-Cilag und Lilly bei der Teilnahme von Kongressen, Honorare für Vorträge und die Teilnahme an Beratungsgremien sowie für Forschungsvorhaben.

  • Literatur

  • 1 Munir T, Cairns DA, Bloor A. et al. Chronic Lymphocytic Leukemia Therapy Guided by Measurable Residual Disease. New England Journal of Medicine 2024; 390: 326-337
  • 2 Herman SEM, Niemann CU, Farooqui M. et al. Ibrutinib-induced lymphocytosis in patients with chronic lymphocytic leukemia: correlative analyses from a phase II study. Leukemia 2014; 28: 2188-2196
  • 3 Al-Sawaf O, Zhang C, Lu T. et al. Minimal Residual Disease Dynamics after Venetoclax-Obinutuzumab Treatment: Extended Off-Treatment Follow-up From the Randomized CLL14 Study. JCO 2021; 39: 4049-4060
  • 4 Seymour JF, Kipps TJ, Eichhorst BF. et al. Enduring undetectable MRD and updated outcomes in relapsed/refractory CLL after fixed-duration venetoclax-rituximab. Blood 2022; 140: 839-850
  • 5 Munir T, Moreno C, Owen C. et al. Impact of Minimal Residual Disease on Progression-Free Survival Outcomes After Fixed-Duration Ibrutinib-Venetoclax Versus Chlorambucil-Obinutuzumab in the GLOW Study. J Clin Oncol 2023; 41: 3689-3699

Korrespondenzadresse

Dr. Eugen Tausch
Universitätsklinikum Ulm Klinik für Innere Medizin III
Albert-Einstein-Allee 23
89081 Ulm
Deutschland   

Publication History

Article published online:
11 December 2024

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  • Literatur

  • 1 Munir T, Cairns DA, Bloor A. et al. Chronic Lymphocytic Leukemia Therapy Guided by Measurable Residual Disease. New England Journal of Medicine 2024; 390: 326-337
  • 2 Herman SEM, Niemann CU, Farooqui M. et al. Ibrutinib-induced lymphocytosis in patients with chronic lymphocytic leukemia: correlative analyses from a phase II study. Leukemia 2014; 28: 2188-2196
  • 3 Al-Sawaf O, Zhang C, Lu T. et al. Minimal Residual Disease Dynamics after Venetoclax-Obinutuzumab Treatment: Extended Off-Treatment Follow-up From the Randomized CLL14 Study. JCO 2021; 39: 4049-4060
  • 4 Seymour JF, Kipps TJ, Eichhorst BF. et al. Enduring undetectable MRD and updated outcomes in relapsed/refractory CLL after fixed-duration venetoclax-rituximab. Blood 2022; 140: 839-850
  • 5 Munir T, Moreno C, Owen C. et al. Impact of Minimal Residual Disease on Progression-Free Survival Outcomes After Fixed-Duration Ibrutinib-Venetoclax Versus Chlorambucil-Obinutuzumab in the GLOW Study. J Clin Oncol 2023; 41: 3689-3699