Dtsch Med Wochenschr 2025; 150(01/02): 37-43
DOI: 10.1055/a-2258-4682
Dossier

(Über-)Leben mit Krebs: Sekundärmalignome (inkl. Genetik)

(Over-)living with cancer: secondary malignancies (incl. genetics)
Wajma Shahbaz
,
 

Sekundärmalignome (Zweitkrebserkrankungen) sind bösartige Erkrankungen, die in einem zeitlichen Abstand zu einer Krebstherapie stehen. Die bösartigen Neubildungen können nach 2 Monaten bis hin zu Jahrzehnten nach einer Krebsbehandlung auftreten. Darüber hinaus können mehrfache Tumorerkrankungen auch auf dem Boden einer erblichen Tumorneigung entstehen. Der Beitrag bietet eine Übersicht über die Ursachen, Früherkennung und individuelle Behandlung.


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Abstract

Secondary malignancies (secondary cancers) are malignant diseases that occur at a certain time after cancer treatment. The malignant neoplasms can occur anywhere from 2 months to decades after cancer treatment. In addition, multiple tumor diseases can also develop due to a hereditary tendency to tumors. This article provides an overview of the causes, early detection and individual treatment.


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Abkürzungen

AML: akute myeloische Leukämie
MDS: myelodysplastisches Syndrom
PARP-Inhibitoren: Poly-ADP-Ribose-Polymerase-Inhibitoren
PTLD: Posttransplantationslymphome
ROS: reaktive Sauerstoffspezies
t-AML: therapieassoziierte akute myeloische Leukämie


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Ursachen für das Auftreten von Sekundärmalignomen

Jede Krebsbehandlung, sei es Chemotherapie oder Strahlentherapie, birgt das Risiko, eine Sekundärkrebserkrankung zu verursachen. Um zu verstehen, wie dies geschieht, lohnt es sich, die Ursprünge der Krebsforschung zu betrachten.

Zusatzinfo

Epidemiologie

  • Circa 6–13% der Betroffenen mit einer Krebserkrankung entwickeln im Verlauf ein Sekundärmalignom [1].

  • Mindestens 8% aller Krebserkrankungen sind auf ein Tumorprädispositionssyndrom zurückzuführen [2].

Der Begriff „Karkinoma“ wurde erstmals von Hippokrates 500 Jahre v. Chr. verwendet, um eine bösartige, geschwürbildende Schwellung zu beschreiben. Erst viele Jahrhunderte später ermöglichte die Erfindung des Mikroskops die Untersuchung des Aufbaus zellulärer Organismen. Noch später führte die Entschlüsselung der DNA zu einem tieferen Verständnis der genetischen Weitergabe durch Zellteilung. In den 1980er-Jahren zeigten tierische In-vivo-Experimente, dass sich normale Zellen durch genetische Veränderungen in Krebszellen umwandeln können. Hierbei wurde beobachtet, dass wachstumsregulierende Gene durch Verstärkung oder Verlust ihrer Funktionen zu einer unkontrollierten Zellvermehrung beitragen können, was zur Entstehung sogenannter Onkogene führt [3].

Genetische Veränderungen (Mutationen) können sowohl erworben als auch ererbt sein:

  • Im ersteren Fall spielen neben zufälligen Fehlern beim Kopieren des Erbguts während der Zellteilung auch schädliche Umwelteinflüsse beispielsweise durch Strahlung, Giftstoffe oder insbesondere auch Chemotherapeutika eine wichtige Rolle.

  • Im letzteren Falle liegt bereits von Geburt an eine sog. Keimbahnmutation in allen Körperzellen vor, sodass weniger zusätzliche genetische Veränderungen notwendig sind, um Krebs auszulösen.

Somit kann ein Sekundärmalignom sowohl durch eine erbliche Tumorneigung als auch durch die Behandlung der ersten Krebserkrankung bedingt sein.

Merke

Tumorerkrankungen sind meist durch genetische Veränderungen bedingt, die sowohl erworben als auch ererbt sein können. Mehrfache Krebserkrankungen können sowohl auf erbgutschädigende Lebensgewohnheiten, auf Nebenwirkungen während der Therapie der Ersterkrankung oder auf eine erbliche Tumorneigung hinweisen.

Genetische Prädispositionen

Im Laufe des Lebens häufen sich Genmutationen in den menschlichen Zellen an, was mit einem zunehmenden Risiko für Krebserkrankungen einhergeht. Die meisten Tumorerkrankungen entstehen durch ein komplexes Zusammenspiel aus erblichen Faktoren und Umwelteinflüssen. Ein kleiner, aber signifikanter Anteil von Krebspatienten weist eine starke genetische Prädisposition auf, wodurch ihr Risiko, an Krebs zu erkranken, im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung vielfach erhöht sein kann. Diese genetisch bedingten Krebserkrankungen werden als hereditäre Malignome bezeichnet. Die meisten dieser Erkrankungen folgen einem autosomal-dominanten Erbgang. Dies bedeutet, dass Nachkommen eines betroffenen Elternteils unabhängig von ihrem Geschlecht ein Risiko von bis zu 50% haben, die prädisponierende genetische Veranlagung zu erben.

In [Tab. 1] sind Beispiele für genetische Tumorprädispositionen aufgeführt:

Tab. 1 Genetische Prädispositionen. Nach Daten aus [4].

Syndrom

betroffene Gene

klinische Assoziation

Lynch-Syndrom (HNPCC)

MLH1, MSH2, MSH6, PMS2, EPCAM

kolorektale Karzinome, Endometriumkarzinom, Krebserkrankungen des Magen-Darm-Traktes, des Ovars

familiäre adenomatöse Polyposis (FAP)

APC

multiple Polypen im Magen-Darm-Trakt, kolorektales Karzinom, häufig im jugendlichen Alter (<25 Jahre)

erblicher Brust- und Eierstockkrebs

BRCA1, BRCA2

Mammakarzinom, Ovarialkarzinom, Prostatakarzinom, Pankreaskarzinom

Li-Fraumeni-Syndrom

TP53

diverse Krebsarten (weites Spektrum), einschließlich Brustkrebs, Hirntumoren, Sarkome, Leukämien, Nebennierenrindenkarzinom

Von-Hippel-Lindau-Syndrom

VHL

Nierenzellkarzinom, Phäochromozytom, Hämangioblastom

multiple endokrine Neoplasien (MEN) Typ 1 und Typ 2

MEN1, RET

Tumoren der endokrinen Drüsen, einschließlich Parathyreoideatumoren, Pankreastumoren, Hypophysentumoren (Typ 1) und medulläres Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytom (Typ 2)

Cowden-Syndrom (PHTS)

PTEN

multiple Hamartome, Mammakarzinom, Schilddrüsenkarzinom

heriditäres diffuses Magenkarzinom (HDGC)

CDH1

diffuses Magenkarzinom, lobuläres Mammakarzinom

Im klinischen Alltag ist es nicht immer ganz einfach, eben jene Patienten zu identifizieren, denen eine genetische Testung angeboten werden sollte. Es sollte vor allem bei Patienten mit folgen Merkmalen eine genetische Beratung empfohlen werden:

  • junges Erkrankungsalter

  • Auftreten mehrerer Tumorerkrankungen bei einer Person

  • weitere betroffene Familienmitglieder

Die molekulargenetische Diagnostik erfolgt heutzutage zumeist mittels DNA-Sequenzierung im Hochdurchsatzverfahren. Dabei ist die DNA-Analyse skalierbar und ermöglicht neben der Sequenzierung von Einzelgenen die gezielte Untersuchung von krankheitsspezifischen Gengruppen (Genpanels) über die Gesamtheit der proteinkodierenden Regionen (Exom) bis hin zum gesamten Erbgut (Genom).

Beispiel zur genetischen Testung anhand des hereditären Brust- und Eierstockkrebs

Ein wichtiges Beispiel für genetische Prädispositionen stellen Patientinnen mit Brust- und Eierstockkrebs dar. Bis zu 20% der Patientinnen weisen eine Prädisposition als Ursache auf. Am häufigsten zeigt sich hier der Nachweis einer Mutation in den Genen BRCA1 und BRCA2. Eine Mutation in einem der beiden Gene beeinträchtigt die DNA-Reparatur und begünstigt im erheblichen Maße die Entstehung eines Malignoms. Die Testung der genetischen Prädisposition hat weitreichende Folgen im Hinblick auf Vorsorgeuntersuchungen bei gesunden Anlageträgerinnen bzw. individuelle Nachsorge bei bereits erkrankten Patientinnen.

Zusatzinfo

Mindestens eines der folgenden Kriterien muss in einer Linie der Familie erfüllt sein (vgl. S3-Leitlinie Mammakarzinom Version 4.4, 2021) [5]:

  • mindestens 3 Frauen sind an Brustkrebs erkrankt, unabhängig vom Alter

  • mindestens 2 Frauen sind an Brustkrebs erkrankt, davon eine vor dem 51. Geburtstag

  • mindestens 1 Frau ist an Brustkrebs und 1 Frau an Eierstockkrebs erkrankt

  • mindestens 2 Frauen sind an Eierstockkrebs erkrankt

  • mindestens 1 Frau ist an Brust- und Eierstockkrebs erkrankt

  • mindestens 1 Frau ist mit 35 Jahren oder jünger an Brustkrebs erkrankt

  • mindestens 1 Frau ist mit 50 Jahren oder jünger an bilateralem Brustkrebs erkrankt

  • mindestens 1 Mann ist an Brustkrebs und eine Frau an Brust- oder Eierstockkrebs erkrankt

In diesem Beispiel wird deutlich, dass den Betroffenen nicht nur intensivierte Maßnahmen zur Früherkennung (z.B. Brust-MRT), sondern ggf. auch chirurgische Maßnahmen (beidseitige Mastektomie, Ovarektomie usw.) angeboten werden können. Darüber hinaus ergeben sich weitere therapeutische Konsequenzen wie der Einsatz der sogenannten PARP-Inhibitoren. PARP-Inhibitoren (Poly-ADP-Ribose-Polymerase-Inhibitoren) sind eine Gruppe von Medikamenten, die gezielt das Enzym PARP hemmen. Dieses Enzym ist wesentlich an der Reparatur von DNA-Schäden in Zellen beteiligt. Insbesondere werden PARP-Inhibitoren zur Behandlung von Krebsarten verwendet, die durch Mutationen in Genen wie BRCA1 und BRCA2 verursacht werden, welche die DNA-Reparaturfähigkeit der Zellen beeinträchtigen.

Durch die Blockierung von PARP verhindern diese Medikamente, dass Krebszellen ihre beschädigte DNA reparieren können. Dies führt zum Absterben der Krebszellen. PARP-Inhibitoren haben sich als besonders effektiv in der Behandlung von Brust-, Eierstock-, Pankreas- und Prostatakrebs erwiesen, vor allem bei Tumoren, die bereits Defekte in den DNA-Reparaturmechanismen aufweisen [6].

Merke

Bei mehrfachen Tumorerkrankungen sollte eine ausführliche Familienanamnese erhoben und eine humangenetische Abklärung erwogen werden. Die Diagnose eines Tumorrisikosyndroms ermöglicht spezielle Vorsorgemaßnahmen und gezielte Therapieansätze.


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Chemotherapie

Neben genetischen Prädispositionen kommen weitere Einwirkungen für die Entstehung von Krebserkrankungen zum Tragen. Zu diesen Risikofaktoren zählen insbesondere vorherige Tumortherapien.

Zytostatische Therapien haben die Eigenschaft neben ihrem bedeutenden Einsatz in der Krebstherapie, das Risiko für Sekundärmalignome zu erhöhen. Die Latenzzeit bis zur Entstehung einer zweiten Neoplasie kann von wenigen Jahren bis hin zu Jahrzehnten reichen. Die häufigsten therapieassoziierten hämatologischen Neoplasien umfassen die akute myeloische Leukämie (AML) und das myelodysplastische Syndrom (MDS) [7] [8].

Die Entstehung von Sekundärmalignomen wird über 2 Mechanismen beeinflusst.

  • DNA-Schäden: Die Wirkung antineoplastischer Chemotherapien beruht auf der Funktion der Zellschädigung durch die Induktion der Apoptose. Es kommt primär zur Hemmung der DNA-Reparaturmechanismen, im Weiteren zur Störung der DNA-Replikation und durch Induktion der Apoptose durch oxidativen Stress. Beispiele für Chemotherapeutika und ihre antineoplastische Wirkung sind in [Tab. 2] zusammengefasst.

  • Immunsuppression: Durch die Schwächung des körpereigenen Immunsystems ist der Organismus vor der Entstehung und Proliferation bösartiger Zellen weniger geschützt. Die Immunsuppression erfolgt meist auf mehreren Ebenen und kann durch unterschiedlichste Ursachen hervorgerufen werden:

    • Immunsuppressive Therapien: Medikamente im Einsatz nach z.B. Organtransplantationen oder zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen verringern die Fähigkeit des Immunsystems, maligne Zellen zu eliminieren. Es kann beispielsweise zur Entstehung sogenannter Posttransplantionslymphome (PTLD) kommen.

    • Erhöhte Aktivität onkogener Viren: Eine Reihe von Malignom-induzierender Viren sind bekannt wie z.B. Epstein-Barr-Virus, humanes Papilloma-Virus, Hepatitis-B- und -C-Virus.

    • Chronische Entzündungen: Zellproliferation und Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS), die wiederum DNA-Schäden verursachen, werden gefördert. Darüber hinaus führen ständige Gewebsschädigungen und Reparaturprozesse zur Begünstigung der Karzinogenese.

    • Regulatorische T-Zellen: Immunsuppressive Therapien können die Anzahl und Funktion regulatorischer T-Zellen erhöhen, die normalerweise helfen, überschüssige Immunantworten zu unterdrücken. Ein Übermaß dieser Zellen kann jedoch die Antitumor-Immunantwort beeinträchtigen.

Tab. 2 Auflistung der DNA-Schädigung durch Zytostatika. Nach Daten aus [9].

Schädigungsmuster

Substanzklassen und Beispielsubstanz

Mechanismus der Zellschädigung

direkte DNA-Schädigung

Alkylanzien: Cyclophosphamid, Ifosfamid

Einbau von Alkylgruppen in Amino-, Carboxyl-, Hydroxyl-, Phosphat- und Sulfhydrylgruppen der Ribonukleinsäure der DNA

Platinverbindungen: Cisplatin, Carboplatin

über Schädigung der DNA-Querverbindungen

Hemmung der DNA-Reparatur

PARP-Inhibitoren: Olaparib

Blockade des Enzyms Poly-ADP-Ribose-Polymerase

Hemmung der DNA-Replikation

Antimetabolite: Methotrexat und 5-Fluorouracil (5-FU)

Einbau von Substraten in DNA und RNA, Störung der Replikation und Transkription

Nukleosidanalogon: Mercaptopurin

Topoisomerase-Inhibitoren: Etoposid, Doxorubicin

Hemmung der Funktion der Topoisomerase

Induktion von oxidativem Stress

Anthrazykline: Doxorubicin und Daunorubicin

Erzeugung von ROS (reaktive Sauerstoffspezies), die DNA-Basen oxidieren und Strangbrüche verursachen

mitotische Katastrophe

Mitose-Hemmer: Vincristin, Paclitaxel

Bindung an Tubuli und Störung der Mikrotubuli-Funktion


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Bestrahlung

Ein nicht zu vernachlässigendes Risiko bei der Entstehung von Sekundärmalignomen stellt neben der systemischen Therapie die Behandlung durch die Radiatio dar. Sekundärmalignome treten häufig Jahre bis Jahrzehnte nach der ursprünglichen Behandlung auf und können sich vielfältig darstellen. Ursächlich sind auch hier Schädigungen auf DNA-Ebene. Ionisierende Strahlung kann direkte DNA-Schäden hervorrufen durch Einzel- oder Doppelstrangbrüche. Zu den strukturellen Veränderungen zählen Translokationen, Deletionen und Inversionen. Durch Mutationen in der DNA werden maligne Zellen gefördert und im Weiteren können somit chromosomale Aberrationen gefördert werden.

Als eine der klinisch relevantesten zeigen sich junge Patientinnen mit Hodgkin-Lymphom [10]. In einer Studie wurde im Jahre 2003 wurde das Mammakarzinomrisiko bei Frauen untersucht, die in jungen Jahren an einem Hodgkin-Lymphom erkrankt waren und mit einer Bestrahlung therapiert wurden. Diese Frauen wiesen im Verlauf ihres Lebens ein deutlich erhöhtes Risiko für ein späteres Mammakarzinom auf. Dabei zeigt sich die Risikoerhöhung noch bis zu über 25 Jahre nach der Bestrahlung. Ferner korrelierte die Risikoerhöhung im erheblichen Maße mit der Dosis der Bestrahlung. Dabei war das Risiko für die Entwicklung eines Sekundärmalignoms um ein 8-Faches höher bei einer höheren Bestrahlungsdosis. Die Kombination mit einer Zytostatikatherapie förderte indessen das Risiko um ein Vielfaches. Diese Ergebnisse haben deutlich dazu beigetragen, das Bewusstsein für die Langzeitrisiken nach einer Strahlentherapie zu erkennen und effektiv in die Nachsorge miteinzubringen [11].


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Chronisch-entzündliche Erkrankungen

Chronisch-entzündliche Erkrankungen wie z.B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, rheumatoide Arthritis und systemischer Lupus erythematodes können mit einem erhöhten Risiko für Sekundärmalignome assoziiert sein. Die Mechanismen hinter diesem Phänomen sind vielseitig. Aufgrund der anhaltenden Zellteilung können Mutationen auf DNA-Ebene vermehrt auftreten. Zytokine wie TNF-alpha und IL-6 können ebenfalls die Zellproliferation fördern und dadurch Schäden sowie Mutationen hervorrufen. Beispielsweise besteht bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung kolorektaler Karzinome. Mehrere Studien haben gezeigt, dass das Risiko für kolorektales Karzinom bei Patienten mit Colitis ulcerosa um das 2- bis 3-Fache höher ist als in der Normalbevölkerung, und das Risiko steigt mit der Dauer der Erkrankung [12]. Diese Erkenntnisse finden ihren Weg auch in den klinischen Alltag. So empfiehlt die S3-Leitlinie zur Behandlung der Colitis ulcerosa regelmäßige Untersuchungen und Darmspiegelungen. Diese Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, kolorektale Karzinome frühzeitig zu erkennen und somit eine rechtzeitige und effektive Behandlung zu ermöglichen [13].

Merke

Bei genotoxischer Therapie oder Grunderkrankungen mit erhöhtem Malignomrisiko sind spezielle Früherkennungsmaßnahmen angezeigt.


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Die therapieassoziierte akute myeloische Leukämie als Beispiel für die Entstehung eines Sekundärmalignoms mit besonderen genetischen Veränderungen

Die therapieassoziierte akute myeloische Leukämie (t-AML) ist eine Form der myeloischen Neoplasie, die als Folge einer früheren Krebsbehandlung mit Chemotherapien oder Strahlentherapie auftritt. Diese Art von Leukämie weist oft spezifische genetische Veränderungen auf, die sich von denen der primären AML unterscheiden. Nachfolgend werden die wesentlichen genetischen Charakteristika und die damit verbundenen Mechanismen der t-AML erörtert.

Genetische Mutationen und Chromosomenaberrationen

Alkylierende Mittel und Strahlentherapie

  • Chromosomale Deletionen und Monosomien: Patienten, die mit Alkylanzien oder Strahlentherapie behandelt wurden, können eine t-AML entwickeln mit charakteristischen chromosomalen Veränderungen wie Monosomien (Verlust eines ganzen Chromosoms) oder Deletionen, insbesondere in den Chromosomen 5 und 7: Monosomie 5/del(5q) und Monosomie 7/del(7q) [14].

  • Komplexer Karyotyp: Eine große Anzahl chromosomaler Veränderungen, bekannt als komplexer Karyotyp, ist ebenfalls häufig bei t-AML nach solchen Behandlungen.


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Topoisomerase-II-Inhibitoren

  • Reziproke Translokationen: Topoisomerase-II-Hemmer (z.B. Etoposid) sind häufig mit spezifischen reziproken Translokationen assoziiert, wie t(11;23)(q23;q22) oder t(21;22)(q22;q22).

  • MLL-Gen: Translokationen, die das MLL-Gen (KMT2A) auf Chromosom 11 betreffen, sind besonders häufig bei t-AML, die durch Topoisomerase-II-Hemmer induziert wird.


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Risikofaktoren

  • Art und Dosis der Chemotherapie: Höhere kumulative Dosen und längere Exposition gegenüber Alkylanzien oder Topoisomerase-II-Hemmern erhöhen das Risiko für t-AML [15].

  • Kombinierte Behandlungen: Patienten, die sowohl Chemotherapie als auch Strahlentherapie erhalten haben, haben ein erhöhtes Risiko [16].

  • Genetische Prädisposition: Patienten mit einer genetischen Prädisposition für Krebs oder Defekten in DNA-Reparaturmechanismen sind anfälliger für die Entwicklung von t-AML (z.B. Li-Fraumeni-Syndrom, s. [Tab. 1]).


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Klinische Charakteristika und Prognose

  • Aggressiver Verlauf: Patienten mit einer t-AML haben oft einen aggressiveren Verlauf und eine schlechtere Prognose als Patienten mit einer De-novo-AML (AML ohne vorherige Therapie) [17].

  • Resistenz gegenüber Behandlung: Aufgrund der komplexen genetischen Aberrationen kann t-AML resistenter gegenüber Standard-AML-Therapien sein, was die Behandlung erschwert und die Überlebensrate verringert [18].

Merke

Die Nachsorge (z.T. auch nach Jahrzehnten) ist von großer Bedeutung nach zytotoxischen Therapien mit einem besonderen Augenmerk auf Blutbildveränderungen, die auf eine t-AML hinweisen können.


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Ausblick

Genomsequenzierung

Die genetische Information im Kontext einer Tumorerkrankung spielt eine zunehmend wichtige Rolle nicht allein in der Früherkennung einer Krebserkrankung, sondern auch in der Therapielandschaft.

Genetische Diagnostik ermöglicht den Nachweis erworbener und erblicher genetischer Veränderungen und hat das Potenzial, die Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen zu revolutionieren. So können beispielsweise Mutationssignaturen Aufschluss über die individuelle Ursache einer Tumorerkrankung geben [19]. Darüber hinaus können die genetischen Profile verschiedener Tumoren vom selben Patienten Aufschluss darüber geben, ob eine gemeinsame Ursache vorliegt oder ob es sich eher um unabhängige Erkrankungen handelt.

Genomsequenzierung ermöglicht die systematische Identifikation tumorspezifischer Mutationen und Biomarker, die als Ziele für zielgerichtete Therapien dienen können [20]. Fortschritte bei den Sequenzierungstechnologien haben die Kosten gesenkt und die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Genomanalyse verbessert [21]. Genomsequenzierung hilft bei der Identifizierung prognostischer und diagnostischer Marker, die das Ansprechen auf Therapien vorhersagen können [22].

Die fortschrittlichen Entwicklungen im Bereich der Einzelzellanalyse, die detaillierte Untersuchung des Mikromilieus um Tumoren mittels multiparametrischer Bildgebung im räumlichen Kontext sowie die Gestaltung zellulärer Therapien der nächsten Generation sind nur einige der derzeit erkennbaren Innovationen. Die medizinische Anwendung dieser neuen Technologien und deren Umsetzung stellt gleichzeitig eine große Hoffnung und eine große Herausforderung für die Ärzteschaft dar und unterstreicht die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeiten.

Kernaussagen
  • Sekundärmalignome entstehen häufig infolge von Krebstherapien, insbesondere durch Chemotherapie und Strahlentherapie, und können Jahrzehnte nach der Behandlung auftreten.

  • Mindestens 8% aller Krebserkrankungen sind auf genetische Tumorprädispositionssyndrome zurückzuführen.

  • Genetische Mutationen können sowohl erworben als auch vererbt sein.

  • Chemotherapeutika können DNA-Schäden verursachen, indem sie die Zellreparaturmechanismen stören, was wiederum das Risiko für Sekundärmalignome wie AML erhöht.

  • Strahlentherapie birgt ein hohes Risiko für Sekundärmalignome, insbesondere bei jungen Patientinnen mit Hodgkin-Lymphom, deren Risiko für Brustkrebs stark ansteigt.

  • Chronisch-entzündliche Erkrankungen, wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, erhöhen das Risiko für Sekundärmalignome durch anhaltende Zellteilung und DNA-Schäden, was regelmäßige Früherkennungsmaßnahmen erfordert.

  • Eine genetische Testung, z.B. bei BRCA1- oder BRCA2-Mutationen, kann präventive Maßnahmen und gezielte Therapien wie den Einsatz von PARP-Inhibitoren ermöglichen.

  • Genomsequenzierung ermöglicht die Identifikation von tumorspezifischen Mutationen und spielt eine zunehmend wichtige Rolle in der Krebsdiagnostik und -therapie.


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Wajma Shahbaz


Hämato-/Onkologin mit dem Schwerpunkt Plasmazellerkrankungen in der Medizinischen Klinik und Poliklinik III am LMU Klinikum München

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Prof. Dr. med. Philipp A. Greif


Humangenetiker und Oberarzt mit dem Schwerpunkt Tumorgenetik in der Medizinischen Klinik III am LMU Klinikum in München

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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Wajma Shahbaz
LMU Klinikum, Medizinische Klinik III (Hämatologie und Onkologie)
Marchioninistr. 15
81377 München
Deutschland   

Publication History

Article published online:
11 December 2024

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Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany


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