Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-2495-9038
Buchbesprechung

Ethik des assistierten Suizids
Bozzaro C, Richter G, Rehmann-Sutter C. Ethik des assistierten Suizids – Autonomien, Vulnerabilitäten, Ambivalenzen. Bielefeld: transcript; 2024. ISBN 978-3-8376-6792-9, 328 S., 38,– €
Kaum ein Thema ist so tabuisiert und wird zugleich so kontrovers diskutiert wie der assistierte Suizid. Dabei hat es einen gesellschaftlichen Wandel gegeben. Immer mehr Menschen in Deutschland, der Schweiz und in Österreich akzeptieren den assistierten Suizid als einen möglichen Weg der Sterbehilfe. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 gibt es in Deutschland das verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht eines jeden Menschen, „sein Leben und das eigene Lebensende nach den eigenen höchstpersönlichen, moralischen Wertvortstellungen und Überzeugungen gestalten zu können […], das beinhaltet auch die Hilfe Dritter zur Selbsttötung“ (S. 18). Sofern also der Freitod freiverantwortlich, ernstlich und ohne Druck von Dritten vorgenommen wird, ist das erlaubt, auch die Beihilfe zum Suizid. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist nicht an schwere und unheilbare Krankheitszustände gebunden. Auch die Bundesärztekammer hat 2021 das Verbot der Suizidbeihilfe aus ihrer Musterberufsordnung gestrichen. Zu unterscheiden von der Suizidbeihilfe ist die Tötung auf Verlangen, die – anders als etwa in den Niederlanden oder Belgien – auch weiterhin in Deutschland verboten bleibt. Wir haben also in Deutschland grundsätzlich eine liberale Regelung des Suizids mit der Stärkung der Freiheitsrechte des Einzelnen. Wie aber die genaue Ausgestaltung und Umsetzung in der Praxis, z. B. in Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern, aussehen kann, ist Gegenstand kontroverser Debatten auch im Bundestag. Bisherige Vorschläge einer Neuregelung zum assistierten Suizid waren nicht mehrheitsfähig.
Das vorliegende Buch ist ein Sammelband zur ethischen Einordnung des assistierten Suizids. Dabei wird ein weiter Bogen gespannt von philosophischen und theologischen Reflexionen bis hin zu juristischen, medizinischen, pflegerischen, sozialwissenschaftlichen und historischen Betrachtungen. Zwischen den anspruchsvollen und gehaltvollen Fachbeiträgen der insgesamt 23 Autor*innen werden Buchbesprechungen und Filmrezensionen (z. B. zu Ferdinand von Schirachs Buch und Film „Gott“) eingeflochten. Den Herausgeber*innen (zwei Medizinethiker*innen und ein Bioethiker) gelingt es, die verschiedenen und zum Teil kontroversen Positionen in den einzelnen Kapiteln gut abzubilden. Während im ersten Teil der rechtliche Rahmen in den drei deutschsprachigen Ländern dargelegt wird, beschäftigt sich der zweite Teil des Bandes mit berufsethischen Fragen. Hier werden Sichtweisen der Ärzteschaft (Hausärztinnen und -ärzte, Palliativmediziner*innen), der Seelsorge und der Pflege zum assistierten Suizid aufgezeigt. Teil drei fokussiert auf besonders vulnerable Gruppen wie Menschen mit einer psychischen Erkrankung und Menschen mit Demenz. Der vierte Teil ist deutlich theorieorientierter. Es werden normative Begriffe wie Fürsorge und Autonomie, die graduelle Selbstbestimmung, aber auch Konzepte wie Biografie, Einsamkeit und Sinn dargelegt. Im abschließenden fünften Teil werden dann noch einmal „Ambivalenzen und Ambiguitäten“ aufgezeigt, u. a. am Beispiel der Patientenmorde im Nationalsozialismus, anhand theologischer Aspekte der Suizidhilfe und mithilfe von Überlegungen ausgehend von der Ethik der Ambiguität von Simone de Beauvoir.
Der Band umfasst 326 Seiten und ist eine anspruchsvolle Lektüre, die sich lohnt, wenn man sich auf Lesearbeit einstellen mag. Das Thema wird auch die Pflege immer mehr beschäftigen, denn die Pflegenden „am Bett“ sind letztendlich diejenigen, die die Menschen beim assistierten Suizid begleiten werden und dieses (gerade in der Langzeitpflege) ja auch jetzt schon tun, zum Beispiel beim „passiven Suizid“, dem freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit.
In der Intensivpflege geht es weniger um die Beihilfe zum Suizid, sondern um das Sichern des Überlebens nach einem gescheiterten Suizidversuch. Doch spätestens beim Wiedererlangen des Bewusstseins der Patient*innen und auch beim Kontakt mit den An- und Zugehörigen sollten Intensivpflegende in der Lage sein, angemessen bei diesem höchst sensiblen Thema zu kommunizieren. Es wäre gut, wenn Pflegende eine ethisch begründete Haltung zum (assistierten) Suizid entwickeln und diese auch nach außen darstellen könnten.
Rezensent: Dr. Heiner Friesacher
Publication History
Article published online:
06 May 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany